Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Das hatte sich die Europäische Zentralbank (EZB) sicherlich anders vorgestellt: Erst zieht das Wachstum der Tariflöhne im ersten Quartal an und dann auch noch die Inflation. So jedenfalls erwarten es die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte. Unter anderem mit diesen Messgrößen hatte es die EZB im März begründet, dass sie über Zinssenkungen erst im Juni ernsthaft reden wolle. Jetzt ist es fast Juni, und EZB-Offizielle haben in den vergangenen Wochen so oft eine erste Zinssenkung im Juni angedeutet, dass sich der Dampfer nun kaum noch herumreißen ließe - wenn man denn wollte. Offenbar will man aber auch gar nicht, trotz ungünstiger Datenentwicklung.

"Wenn die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist, und die Projektionen nicht etwas völlig anderes sagen - wovon ich aber nicht ausgehe -, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir den ersten Zinsschritt erleben werden", sagte beispielsweise EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel am Rande des Treffens der Finanzminister und Notenbankgouverneure der sieben wichtigsten Industrieländer (G7), wie Bloomberg berichtet. Wenn das schon ein geldpolitischer Falke sagt, wird am 6. Juni wohl nichts mehr anbrennen.

Tatsächlich sind die am 6. Juni zur Veröffentlichung anstehenden Projektionen zu Inflation und Wachstum ein weiteres von der EZB als wichtig hervorgehobenes Element. Offenbar traut die Zentralbank ihren eigenen Prognosen inzwischen wieder etwas zu. Kommt es im Mai zu einem Inflationsanstieg - und danach sieht es derzeit aus, würde das auch nicht mehr in die EZB-Projektionen einfließen.


   Inflationsdruck im Euroraum nimmt etwas zu 

Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass die Verbraucherpreise mit einer Jahresrate von 2,5 (April: 2,4) Prozent gestiegen sind. Für die Kernverbraucherpreise (ohne Energie und Nahrungsmittel) wird eine unveränderte Teuerung von 2,7 Prozent prognostiziert. Eurostat veröffentlicht die Daten am Freitag (11.00 Uhr). Zuvor kommen noch Preisdaten aus Deutschland (Mittwoch, 14.00 Uhr), Spanien (Donnerstag, 9.00 Uhr) und Frankreich (Freitag, 8.45 Uhr).

Weitere Daten mit Inflationsbezug bieten die Ergebnisse der EZB-Konsumentenumfrage für April (Dienstag, 10.00 Uhr). Am Mittwoch (10.00 Uhr) veröffentlicht die EZB Daten zur Entwicklung von Geldmenge und Kreditvergabe im April. Arbeitslosenzahlen für den Euroraum für April werden am Donnerstag (11.00 Uhr) veröffentlicht. Auch aus den USA kommen Inflationszahlen.


   PCE-Preisindex steigt im April erneut um 0,3 Prozent 

Eine Reihe robuster Inflations- und Arbeitsmarktzahlen hat die US-Notenbank von einem sicher geglaubten Zinssenkungskurs abgebracht. Fed Funds Futures preisen für dieses Jahr inzwischen gar keine Lockerung mehr ein, nachdem die Aktivität der US-Wirtschaft ausweislich der aktuellen Einkaufsmanagerindizes viel stärker als erwartet zugenommen hat.

An diesem Bild werden wohl auch die Zahlen zu den persönlichen Konsumausgaben und Einnahmen für April nicht viel ändern, deren interessantester Bestandteil der Preisindex der persönlichen Konsumausgaben (PCE-Deflator) ist. Die so gemessenen Preise, das von der Fed bevorzugte Preismaß, waren im März mit einer Monatsrate von 0,3 Prozent gestiegen. Für April wird die gleiche Rate erwartet. Das Bureau of Economic Analyses (Bea) veröffentlicht die Zahlen am Freitag (14.30 Uhr).

Am Mittwoch (20.00 Uhr) veröffentlicht die Fed ihr Beige Book, in dem sie die Kommentare der zwölf regionalen Zentralbanken der USA zur aktuellen wirtschaftlichen Lage in ihren jeweiligen Regionen zusammenfasst. Das Dokument dient der Vorbereitung der FOMC-Sitzung am 11. und 12. Juni.

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May 27, 2024 01:00 ET (05:00 GMT)