Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die deutsche Wirtschaft befindet sich gerade in einem konjunkturellen Niemandsland: Weder weiß man richtig, wo es hingeht, noch wo man herkommt. Über das Wohin könnten die in der Woche anstehenden Ergebnisse von Unternehmensumfragen (Einkaufsmanagerindizes, Ifo-Index) Auskunft geben, über das Woher, die am Ende der Woche anstehende zweite Veröffentlichung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des ersten Quartals. Während für Einkaufsmanagerindizes (PMIs) und den Ifo ein Rückgang zu erwarten ist, scheint mit Blick auf das BIP eine leichte Aufwärtsrevision nicht ausgeschlossen.

Die Woche bringt außerdem zwei Leitzinsentscheidungen, die zweite Veröffentlichung des US-BIP für das zweite Quartal, den Preisindex der privaten Konsumausgaben (PCE-Deflator) für April und am Ende auch noch ein Jubiläum: 25 Jahre Euro.


   Konjunkturdaten derzeit schwer zu interpretieren 

Die Unsicherheit über den Zustand der deutschen Wirtschaft rührt auch daher, dass Analysten Mühe haben, die Konjunkturindikatoren in einem Umfeld einander überlagernder Schocks richtig zu interpretieren. Beispiel Ifo-Index: Der seit Herbst zu beobachtender Anstieg war vor allem von einem Anstieg der Geschäftserwartungen getrieben und die wiederum von der Erleichterung darüber, dass die deutsche Wirtschaft auch ohne russisches Gas zurecht kommt - jedenfalls vorläufig.

Beispiel PMIs: Der Industrie-PMI notiert seit Monaten deutlich unterhalb von 50 Punkten und zeigt damit eine schrumpfende Aktivität an. Das ließ sich aber zumindest bis März nicht an den harten Daten ablesen. Ein Grund für die PMI-Schwäche ist, dass der Rückgang der Lieferfristen - Folge der besser funktionierenden Lieferketten - von dem Index als eine schwächere Nachfrage interpretiert wird. Das ist er kurzfristig auch: Unternehmen, die nicht mehr sechs Monate auf ein Vorprodukt warten müssen, bestellen jetzt später, also erstmal weniger. Aber damit ist noch nichts über die grundsätzlichen Wachstumsaussichten gesagt.


   Wann fangen die EZB-Zinserhöhungen an zu bremsen? 

Sicher ist, dass die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) die Aktivität dämpfen werden. Man weiß nur nicht wann - selbst die EZB hat hier nur vage Vorstellungen. Die Erwartung einer geldpolitischen Bremsung der Konjunktur schlägt sich seit einiger Zeit in den Erwartungen der Finanzmarktakteure nieder. ZEW- und Sentix-Index sinken, die ZEW-Konjunkturerwartungen waren im Mai erstmals seit Dezember 2022 wieder negativ.

Weitaus marktbewegender aber wäre ein Rückgang des Ifo-Geschäftsklimaindex, der bei den Unternehmen selbst erhoben wird. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte erwarten einen Rückgang auf 93,0 (April: 93,6) Punkte. Für den Lage- und den Erwartungsindex werden Stände von 94,5 (95,0) und 91,9 (92,2) Punkten prognostiziert. Das Ifo-Institut veröffentlicht die Daten am Mittwoch (10.00 Uhr). Beeinflusst werden die Erwartungen für den Ifo-index sicherlich noch von den am Dienstag anstehenden deutschen PMI-Daten (9.30 Uhr). Die europäischen folgen um 10.00 Uhr.


   Destatis könnte BIP-Rate für erstes Quartal aufwärts revidieren 

Am Donnerstag kommt die zweite BIP-Veröffentlichung. Dass das BIP in erster Veröffentlichung nur stagnierte, war angesichts der bis Februar sehr guten Daten aus der Industrie eine ziemliche Überraschung. Laut Destatis lieferten die Investitionen und die Exporte positive Wachstumsbeiträge, negative dagegen Privat- und Staatskonsum. Genauere Angaben kommen mit der nun anstehenden Veröffentlichung.

Es ist zudem nicht ausgeschlossen, dass die Statistiker die Quartalsveränderungsrate von einer "schwarzen Null" auf ein Plus von 0,1 Prozent nach oben revidieren. Zwar waren die März-Daten aus der Industrie erschreckend schwach, aber dafür war der private Konsum vielleicht nicht so schwach wie zunächst angenommen. So sanken die Einzelhandelsumsätze laut aktuellen Angaben von Destatis nicht um 1,4 Prozent, sondern nur um 0,7 Prozent. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte prognostizieren eine Bestätigung der BIP-Stagnation.


   PCE-Teuerungsrate steigt im April - Kernteuerung sinkt 

Die zweite Veröffentlichung des US-BIP folgt einige Stunden später, um 14.30 Uhr. In erster Veröffentlichung war eine starke Wachstumsverlangsamung auf annualisiert 1,1 (viertes Quartal: 2,6) Prozent gemeldet worden. Für den zweiten Ausweis wird eine Bestätigung der ersten Schätzung prognostiziert.

Der Inflationsdruck in den USA dürfte im April leicht zugenommen haben. Analysten erwarten laut Factset-Konsens, dass der PCE-Deflator mit einer Jahresrate von 4,3 (März: 4,2) Prozent gestiegen ist. Für den Kern-PCE-Deflator wird allerdings ein Rückgang auf 4,4 (4,6) Prozent prognostiziert. Das Bureau for Economic Analyses veröffentlicht die Daten am Freitag (14.30 Uhr).

Am Mittwoch begeht die EZB das 25. Jubiläum des Euro. Geplant ist eine Rede von EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Marktbewegendes ist kaum zu erwarten.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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May 22, 2023 01:00 ET (05:00 GMT)