Von Anna Hirtenstein

LONDON (Dow Jones)--Saudi-Arabien und Russland bringen mit ihren Ölförderkürzungen ein wesentliches Element des globalen Energiemarktes unter Druck: Diesel. Nach Daten des Analysehauses Argus sind die Preise für den Treibstoff in den USA und Europa seit Mai um mehr als 40 Prozent gestiegen. Damals begannen die von den Saudis und anderen Mitgliedern des Ölkartells Opec+ selbst verordneten Produktionsbeschränkungen.

Am Rohöl-Markt lässt sich das nicht direkt ablesen. Die meisten der aktiv gehandelten Futures-Kontrakte für Brent und West Texas Intermediate, die als Benchmarks unter den Rohöl-Qualitäten am Markt fungieren, gingen im gleichen Zeitraum nur um 13 und 14 Prozent nach oben.

Der Anstieg beim Diesel schlägt sich an der Tankstelle in westlichen Ländern und Form von höheren Transportkosten nieder. Für die Verarbeitung zu Diesel sind schwerere Ölsorten deutlich besser geeignet, während etwa leichtes Rohöl aus den USA einfacher zu Benzin raffiniert werden kann.

Bleifreies Benzin ist in den USA laut dem Verkehrsclub AAA im August um 7 Cent pro Gallone teurer geworden, der Preis für die umgerechnet knapp 3,8 Liter Diesel stieg derweil um 42 Cent.

"Diesel ist wegen der Art des Rohöls, das dem Markt von den Förderländern entzogen wird, stärker betroffen", sagte Alan Gelder, Leiter Research für Raffinerie, Chemie und Ölmärkte beim Analysehaus Wood Mackenzie. "Saudisches Öl liefert mehr Ertrag bei Diesel als leichtere Rohöle. Dieser Verlust erhöht die Kosten für die Wirtschaft."

Saudi-Arabien erklärte am Dienstag, die aktuelle Förderkürzung von 1 Million Barrel Öl täglich werde bis zum Jahresende verlängert. Das kam überraschend: Händler und Analysten waren bislang überwiegend davon ausgegangen, dass die aktuelle Förderpolitik nur bis Oktober gehen würde. Auch Russland will seine Kürzung um täglich 300.000 Fass bis Ende 2023 fortsetzen, wie der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Nowak ankündigte.

Europa ist am stärksten betroffen. Hier sind die Raffinerien für die Verarbeitung stetiger Ölströme aus russischen Lagerstätten ausgelegt. Diese Lieferungen sind als Folge der Sanktionen nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen.

Mittel-saures Rohöl aus Russland ist vergleichbar mit dem Öl, das aus dem Nahen Osten kommt. Rohöl aus saudi-arabischer Förderung wird deshalb häufig als Ersatz verwendet, sagen Analysten. Die Förderkürzungen des Wüstenstaats haben die Beschaffung von Rohöl dieser Qualität nun erschwert.

"Europa hatte mehr als ein Jahr Zeit, sich der Situation mit Russland anzupassen, und beim Erdgas ist das auch gelungen. Aber das Problem mit dem Diesel ist noch nicht gelöst", sagte Bjarne Schieldrop, Chefanalyst für Rohstoffe bei der schwedischen Bank SEB. "Und dies Problem greift inzwischen überall auf die Dieselmärkte über."

Shell betreibt die größte Raffinerie Europas in Rotterdam. Die Anlage Shell Pernis produzierte lange im großen Maßstab Diesel aus russischen Rohstoffen. Nach Beginn des Kriegs in der Ukraine wurde zunächst auf saures saudisches Rohöl als Hauptrohstoff für Diesel umgestellt. Inzwischen kauft das Werk mehr amerikanisches Rohöl und produziert folglich weniger Diesel.

Die Preise für saures Rohöl sind gestiegen, der Referenzwert aus Dubai erreichte kürzlich ein Zehn-Monats-Hoch. Schwerere, saure Öle sind eigentlich in der Regel billiger, weil sie schwieriger und teurer zu raffinieren sind. Doch ihre Preisnotierungen haben inzwischen jene für leichtere, süßere Rohöle überholt. Den Argus-Daten zufolge wurden sie jüngst mit dem höchsten Aufschlag seit über einem Jahr gehandelt.

Diesel ist eines der wichtigsten Handelsprodukte auf den Energiemärkten. Fonds oder Investoren, die mit geliehenem Geld handeln, haben nach Daten der Commodity Futures Trading Commission vor kurzem die größte Netto-Long-Position seit 22 Monaten in Heizöl-Futures aufgebaut, einem Derivat von Diesel.

Für Verbraucher sind das schlechte Nachrichten. Diesel treibt nämlich jene Lastwagen und Züge an, die Waren des alltäglichen Bedarfs in die Geschäfte und damit zum Endkunden bringen. Höhere Kraftstoffkosten können noch zusätzlich die Preise treiben, wenn die Einzelhändler sie an die Verbraucher weitergeben.

"Diesel-Kraftstoff wird für die Lieferung von Waren auf der letzten Meile verwendet. Hohe Dieselpreise bedeuten, dass auch die Lieferkosten für Supermärkte und andere Geschäfte hoch sind. Das macht die Preise anfälliger für Inflation", sagte Chefanalyst Gelder von Wood Mackenzie. Diesel wird oft auch für den Antrieb von landwirtschaftlichen und industriellen Maschinen benötigt.

Nach Angaben des Verbandes der Europäischen Automobilhersteller (ACEA) werden etwa 42 Prozent der Fahrzeuge in der Europäischen Union mit Diesel angetrieben, so dass der höhere Preis viele Verbraucher auch ganz direkt betrifft.

Einige Analysten fürchten, dass Diesel sich in den kalten Monaten nochmals stark verteuern könnte, insbesondere dann, wenn China wie im vergangenen Winter erneut die Exporte beschränkt.

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September 07, 2023 03:30 ET (07:30 GMT)