Seit seiner Insolvenz und seiner Umstrukturierung vor sieben Jahren fährt der amerikanische multinationale Konzern LyondellBasell (nachstehend „Lyondell“), der seinen Geschäftssitz in den Niederlanden hat und auf den Bereich Chemie und Petrochemie spezialisiert ist, einen Rekord nach dem anderen ein.
Chart LyondellBasell Industries N.V.

Lyondell überzeugt unter der Leitung von Bob Patel (Vorstandsvorsitzender und ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Chevron) unter anderem durch sein Kapital- und Kostenmanagement. Strikte Kostenkontrolle (die effizienteste unter seinen Vergleichsunternehmen), Asset-Optimierung (Einstellung der weniger rentablen Geschäftsbereiche, Optimierung der Profitabilität der anderen Geschäftsbereiche), organisches und intelligentes Wachstum, großzügige Vergütung der Aktionäre, vielversprechende Investitionen: Es ist alles da!

Mit einem mehr als zehnfach abgedeckten Zinsaufwand und einer konservativen und gut strukturierten Verschuldung (durchschnittlicher Zinssatz von 4,6 %, nur $3 Milliarden fällige Verbindlichkeiten bis 2022) ist die Finanzlage solide.
 

Die Ausschüttungen an die Aktionäre (auf einem historischen Höchststand) sind bei Lyondell mehr als dreifach durch den Cash-Flow gedeckt. Es bleibt somit noch ein bedeutender Spielraum, um sie weiter zu erhöhen. Gleichzeitig übertrifft das aggressive Aktienrückkaufprogramm des Unternehmens jene seiner Konkurrenten.

In den letzten fünf Jahren kaufte das Unternehmen ein Fünftel der ausstehenden Aktien zurück, und das zu einem durchschnittlichen Preis, der dem inneren Wert des Unternehmens bei weitem nicht gerecht wird: Auf lange Sicht hat diese Massnahme alle Chancen, sehr rentabel zu werden. 
So flossen 2016 nahezu $4,3 Milliarden an die Aktionäre zurück, davon $3 Milliarden Dollar aus Aktienrückkäufen (steuerrechtlich vorteilhafter als die Zahlung einer Dividende).

In diesen letzten Jahren profitierte das Management von günstigen Finanzbedingungen und seinem sehr guten Jahresabschluss, um Fremdkapital aufzunehmen und seine Aktionäre mit den Gewinnen aus diesen Aufnahmen zu bezahlen. Sollten sich diese Entscheidung punktuell als rentabel herausstellen (wenn die Rendite aus den Aktienrückkäufen die Fremdkapitalkosten übersteigen), gilt es langfristig darauf zu achten, die gesunde Unternehmenslage nicht zu gefährden.

Das Management ließ in jedem Fall verlauten, dass es seine Finanzierungskapazität nicht ausschöpfen möchte, um Übernahmen tätigen zu können (wenn sich die Gelegenheit bietet), und drosselt seine Rückkäufe in dem Maße wie der Preis der Aktie steigt. Für Vernunft scheint somit gesorgt.

Mit der Normalisierung der Ertragskraft im Zeitraum 2010–2016 kann eine Cash-Generierung in der Größenordnung von $4,5 Milliarden pro Jahr bei einem Instandhaltungs-CapEx (Investitionen zur Instandhaltung der Produktionsstätten) in der Größenordnung von $1,5 Milliarden beobachtet werden: Der durchschnittliche Cash-Flow beläuft sich somit auf $3 Milliarden.

Dieser Cash-Flow  ist der „Free Cashflow“, der über Dividenden, Aktienrückkäufe, organische oder externe Wachstumsgeschäfte und eine eventuelle Entschuldung den Wert für die Aktionäre schafft.
Steuerjahr: Dezember 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026
Umsatz 1 34.727 27.753 46.173 50.451 41.107 40.792 34.694 34.567
Veränderung - -20,08 % 66,37 % 9,27 % -18,52 % -0,77 % -14,95 % -0,37 %
EBITDA 1 5.692 3.285 8.689 6.527 5.222 5.001 5.494 5.850
Veränderung - -42,29 % 164,51 % -24,88 % -19,99 % -4,24 % 9,87 % 6,47 %
Betriebsergebnis (EBIT) 1 4.380 1.900 7.397 5.170 3.766 3.432 3.995 4.346
Veränderung - -56,62 % 289,32 % -30,11 % -27,16 % -8,87 % 16,4 % 8,78 %
Gezahlte Zinsen 1 -328 -514 -510 -258 -348 -347,9 -357,8 -366
Gewinn vor Steuern (EBT) 1 4.052 1.386 6.786 4.776 2.627 3.139 3.708 3.946
Veränderung - -65,79 % 389,61 % -29,62 % -45 % 19,49 % 18,14 % 6,41 %
Nettoergebnis 1 3.390 1.420 5.617 3.889 2.114 2.526 2.961 3.106
Veränderung - -58,11 % 295,56 % -30,76 % -45,64 % 19,51 % 17,21 % 4,89 %
Datum der Veröffentlichung 31.01.20 29.01.21 28.01.22 03.02.23 02.02.24 - - -
1USD in Millionen
Schätzungen

Seltsamerweise liegt die aktuelle Marktkapitalisierung bei „nur“ $32 Milliarden, was in etwa dem Zehnfachen des durchschnittlichen Nettoresultats entspricht (und dem Achtfachen aus dem Vorjahr). Trotz einer drei- bis viermal höheren Rentabilität des Eigenkapitals muss Lyondell gegenüber seinen Wettbewerbern einen Bewertungsabschlag hinnehmen. Was ist der Grund dafür?

Der Markt steuert womöglich einem Trendwechsel entgegen. In der Tat sind die Renditen in der Chemieindustrie auf historischen Höchstständen: Vielleicht hat das Unternehmen von einer extrem günstigen Konjunktur auf den verschiedenen Märkten profitiert, insbesondere dank des Falls des Rohölpreises, und nun steht das Ende der Party kurz bevor (auch die die Margen der Raffinerien in den USA befinden sich auf historischen Höchstständen).

Letztlich sind die Margen in der Chemieindustrie, ebenso wie in vielen anderen Industriezweigen, deshalb so hoch, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt -- die Hersteller spielen in dieser Situation ihre Pricing Power voll aus. Diese Situationen ziehen notgedrungen Konkurrenz an, die in neue Produktionskapazitäten investiert, um sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden.

Auf Dauer schließt das Angebot zur Nachfrage auf (und überholt sie häufig sogar). Die Margen brechen ein und die Rentabilität der Investitionen stürzt in den Keller. Aber üblicherweise dauert dieser Prozess einige Jahre und genau in dieser Zeitspanne laufen die Geschäfte der „First-movers“ (die bereits auf dem Markt präsenten Hersteller oder die ersten, die den Trend erkannt und genutzt haben) auf Hochtouren, bevor sie sich wieder auf Durchschnittsniveau normalisieren.


An dieser Stelle könnte man ein solches Szenario fürchten, da es für einen Nicht-Fachmann extrem schwierig ist, die Dynamik der durch Lyondell bedienten Märkte, die extrem komplex sind (Metyhl, Ethyl, Vinyl, Polyethylen, Raffinerieerzeugnisse usw.), zu verstehen.

Wie Anleger wissen gibt es bei Unternehmen, die in prozyklischen Sektoren aktiv sind, immer das Problem, dass die Rentabilität in Hochphasen unterschätzt und in Rezessionen  überschätzt wird.

Auch wenn es schwierig (wenn nicht sogar unmöglich) ist, sich zuverlässig zur Ertragskraft der nächsten Geschäftsjahre zu äußern, kann man dennoch voraussagen, dass zu bei einer Bewertung mit dem 10-fachen des durchschnittlichen Nettoresultats der vergangenen fünf Jahre eine Sicherheitsmarge für interessierte Anleger existiert (bei $83 je Aktie), erst recht gestärkt durch eine hervorragende Finanzlage, ein talentiertes Management und einer eindeutig sehr attraktiven Vergütungspolitik für die Aktionäre.

Ein eventueller wirtschaftlicher Abschwung könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Unternehmen ohne allzu großen Schaden abgefangen werden. In einem optimistischeren Szenario zufolge, wenn sich der aktuelle Aufschwung weiter fortsetzt oder wenn die durch das Management gewährten Wachstumsinvestitionen schnell Früchte tragen, ist mit einer Erweiterung des Bewertungsfaktors zu rechnen.

Vorbehaltlich eines eventuellen (und plötzlichen) wirtschaftlichen Abschwungs ist LyondellBasell aktuell zweifelsohne die attraktivste Anlageoption in der Chemieindustrie.