Interlaken (awp) - Noch immer reisen weniger Gäste aufs Jungfraujoch als vor der Corona-Pandemie. Dennoch erzielte die Jungfraubahn-Gruppe im ersten Semester 2023 einen Rekordgewinn. Für den Gruppen-Chef Urs Kessler ist das ein guter Zeitpunkt, um seinen Rücktritt in zwei Jahren anzukündigen. Bis dahin hat er aber noch viel vor.

Knapp 420'000 Gäste beförderte die Bahn von Januar bis Juni auf ihren Hausberg, wie sie am Donnerstag mitteilte. Das sind noch immer 11 Prozent weniger als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019.

"Wir werden im Gesamtjahr die zuletzt 2019 erreichte Millionen-Marke wohl noch nicht ganz erreichen", sagte CEO Kessler im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Denn er gehe für das zweite Halbjahr von einer ähnlichen Tendenz aus wie im ersten.

Vor allem die Erholung bei den wichtigen Gästen aus China schritt nicht so schnell voran wie noch im Frühling angenommen. "Da war ich sicher zu optimistisch", so Kessler. Die Reiselust sei in Asien aber allgemein sehr gross, wenn auch Wechselkurse das Geschäft etwas bremsten - "so etwa in Japan, wo der Yen um 30 Prozent eingebrochen ist".

Millionen-Marke nicht entscheidend

Die Millionen-Marke erachtet Kessler aber gar nicht als so wichtig. Entscheidender als die Gästezahlen sei die Profitabilität. Und genau hier hat die Jungfraubahn-Gruppe während der Pandemie massiv zugelegt.

Der bisherige Rekordgewinn in einem Halbjahr lag 2019 bei 24 Millionen Franken. Nun waren es mit 35 Millionen nochmals deutlich mehr. Kessler macht dafür zwei Faktoren verantwortlich: Höhere Preise und eine gesteigerte Effizienz.

Mit der Ende 2020 erfolgten Eröffnung der V-Bahn konnte die Gruppe die Bahnpreise erhöhen. Dank der neuen Bahn gelangen die Gäste nämlich deutlich schneller von der Talstation Grindelwald auf das Jungfraujoch und den Männlichen.

Generationen-Projekt V-Bahn

Die V-Bahn zählt Kessler denn auch zu den grossen Leistungen seiner Karriere als CEO. Er habe das "Generationen-Projekt" initiiert und "mit viel Herzblut" umgesetzt. "Das war sicher eine einmalige Chance im Leben - so ein Projekt wie die V-Bahn kann man als Chef eines Unternehmens nur einmal realisieren."

Als weiteren Meilenstein seiner bisher 36 Jahre andauernden Tätigkeit für die Gruppe - 15 Jahre davon an der Spitze - bezeichnet er den Aufbau des asiatischen Marktes. "Als ich beim Unternehmen anfing, hatten wir japanische Gäste, aber sonst waren wir nirgends. Heute sind wir Markt-Leader in sämtlichen asiatischen Märkten", sagte er.

Die Entwicklung der Jungfraubahnen während seiner Ära lässt sich auch anhand der Zahl der Mitarbeitenden illustrieren: Diese verdoppelte sich bis vor der Pandemie auf 1000 Angestellte.

Corona als grösste Herausforderung

Der grösste Prüfstein seiner Karriere sei die Corona-Krise gewesen, so Kessler: "Für mich war das eine noch grössere Herausforderung als die V-Bahn." Angesichts des Rekordgewinns sei nun aber ein guter Zeitpunkt gekommen, um den Rücktritt zu erklären, so der scheidende CEO.

Ganz überraschend kommt das nicht. "Mein Ziel war es, die V-Bahn zu eröffnen und das Unternehmen schuldenfrei zu machen. Zum Drehbuch hätte gehört, dass ich dann 2022 zurücktrete", so Kessler. "Als dann Corona kam, war mir aber klar, dass ich zusammen mit dem Unternehmen durch diese Krise gehen will."

Noch ist aber nicht Schluss - Kessler hat noch einiges vor bei den Jungfraubahnen: So soll der Eigergletscher zu einer neuen Destination werden. Zudem wolle er mithelfen, die Firstbahn im Rahmen der Erneuerung zu verbessern. Das Projekt soll "mindestens so gut werden wie das V-Bahn-Projekt."

jl/tv