Von David Wainer
NEW YORK (Dow Jones)--Die Fettleibigkeits-Epidemie kostet die Amerikaner einen hohen Preis - und zwar nicht nur im Punkt Gesundheit: Sie kostet die USA rund 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr aufgrund von Gesundheitsproblemen wie Diabetes und Herzkrankheiten. Mit einer neuen Klasse von Medikamenten, die den Menschen helfen, erheblich an Gewicht zu verlieren, könnte ein Wendepunkt erreicht worden sein. Für Branchen, deren Gewinne direkt mit Amerikas Vorliebe für zuckerhaltige Getränke und fetthaltige Lebensmittel zusammenhängen, könnte das ein Problem sein. Einige der betroffenen Unternehmen passen sich an nach der Devise "Wenn du gegen sie nicht gewinnen kannst, mach mit". Sie werden von den Anlegern dafür reichlich belohnt.
Die großen Gewinner des Medikamentenhypes zur Gewichtsabhahme stehen schon seit einiger Zeit fest: Die Marktkapitalisierung von Eli Lilly und Novo Nordisk, den Herstellern von Mounjaro bzw. Ozempic, beläuft sich auf fast 1 Billion Dollar. Im Gegensatz dazu ist Pfizer, dessen Produkte während der Pandemie eine wichtige Rolle spielten, 200 Milliarden Dollar wert.
Hohe Erwartungen an die Abnehm-Medikamente
Bis vor kurzem kamen die Investoren in Branchen, die helfen, die Folgen von Adipositas zu behandeln, nicht wirklich ins Schwitzen. Nachdem jedoch diesen Monat eine Studie veröffentlicht wurde, die zeigte, dass Novo Nordisks Wegovy - die Abnehm-Version von Ozempic - zur Verringerung von Herzinfarkten und Schlaganfällen beiträgt, stürzten Unternehmen, die medizinische Geräte wie Blutzuckermesssysteme und Schlafapnoegeräte herstellen, im Marktwert ab. Entwickler von Medikamenten zur Behandlung von Fettlebererkrankungen, die mit Fettleibigkeit in Verbindung stehen, haben ebenfalls stark an Wert verloren.
Die Erwartungen an die Abnehm-Medikamente sind so hoch geworden, dass Investoren sogar damit rechnen, dass im Gegenzug noch weitaus mehr Branchen, die mit Fettleibigkeit zu tun haben, darunter leiden dürften. Manche Analysten gehen sogar davon aus, dass der verringerte Heißhunger die Nachfrage nach Fast-Food-Restaurants und Snackartikeln moderat senken könnte.
Um die möglichen Auswirkungen auf einige Sektoren zu verstehen, muss man wissen, dass man mit Medikamenten wie Ozempic und Mounjaro nicht einfach ohne Gewissensbisse Pommes frites essen kann. Diese Medikamente, die ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelt wurden, imitieren ein Darmhormon namens GLP-1, das dazu beiträgt, den Appetit zu unterdrücken (Mounjaro imitiert noch ein weiteres Hormon).
Wegovy wiederum wirkt so, dass Menschen, die das Medikament oder ähnliche einnehmen, weniger wahrscheinliclh Heißhunger auf Krispy Kremes bekommen. Und wenn sie das Medikament über Jahre hinweg einnehmen - was aufgrund der Beschränkungen der meisten Krankenversicherungen derzeit unwahrscheinlich ist -, könnte ihr Gewichtsverlust dazu beitragen, alle möglichen Komplikationen wie Typ-2-Diabetes zu verhindern. Das wiederum könnte bedeuten, dass weniger Insulinpumpen und Schlafapnoe-Geräte verkauft werden. Und Menschen, die abnehmen, könnten auf ihrer Diät-App den Abbruchknopf drücken.
All dies ist im Moment noch sehr hypothetisch: Die Kosten für die Behandlung von 100 Millionen fettleibigen Amerikanern würden die staatliche Krankenversicherung Medicare bei den derzeitigen Preisen der Medikamente buchstäblich zahlungsunfähig machen. Wenn irgendwann die Daten jedoch längerfristige Vorteile zeigen, die über die Gewichtsabnahme hinausgehen, wird sich der Krankenversicherungsschutz ausweiten.
Medizintechnik-Unternehmen könnten leiden
Die meisten Manager in der Medizintechnik-Branche spielen die Auswirkungen vorerst herunter. Selbst wenn einige Patienten wegfallen, gäbe es noch viele Möglichkeiten auf Märkten, die noch nicht ausreichend durchdrungen sind, sagen sie. Aber Intuitive Surgical, der Hersteller von da-Vinci-Robotern, die in der bariatrischen Chirurgie eingesetzt werden, hat vergangenen Monat Investoren gewarnt, dass die Abnehm-Medikamente die Nachfrage zu beeinträchtigen beginnen.
"Wir haben einige Hinweise von Kunden, dass das Interesse der Patienten so groß ist, dass sie jetzt Medikamente gegenüber einer Operation in Betracht ziehen", sagte Chief Financial Officer Jamie Samath.
Die Intuitive-Warnung löste einen breiteren Kursrückgang in einem Sektor aus, der jährlich etwa 40 Milliarden US-Dollar Umsatz mit Produkten wie Knieersatz, Nierenkrankheiten und Maschinen zur Behandlung von Herzversagen erwirtschaftet. Einer Analyse von Morgan Stanley zufolge könnten die Auswirkungen für Unternehmen am größten sein, die Krankheiten behandeln, die stark mit Fettleibigkeit korrelieren, wie Schlafapnoe, Typ-2-Diabetes und Kniegelenkersatz.
Die Aktien von Inspire, einem Hersteller von Schlaf-Apnoe-Geräten, und Insulet, einem Hersteller von Insulinpumpen, sind beide in den vergangenen Wochen stark gefallen. Größere Medizintechnikunternehmen, die auch in diesen Bereichen konkurrieren, aber breiter aufgestellt sind, wie Abbott und Zimmer Biomet, verzeichneten einen moderateren Rückgang. Möglicherweise kam es aber auch zu Gewinnmitnahmen, nachdem die Aktien von Medizintechnik-Unternehmen zu Jahresbeginn stark gestiegen waren, als sich das Volumen der chirurgischen Eingriffe nach den Covid-19-Einbrüchen wieder erholte.
Diätbranche: Alternative oder Anpassung
Die Diätbranche, zu der Unternehmen wie Herbalife, Weightwatchers und Medifast gehören, wird ebenfalls direkt betroffen sein. Schon vor dem Aufkommen von GLP-1 standen viele dieser Unternehmen vor erheblichen Herausforderungen.
Einige Unternehmen setzen nun auf die Medikamente: Weightwatchers hat das Startup Noom erworben, das einen Medikament-Verschreibungs-Service anbietet. Andere wie Herbalife sehen sich selbst als Alternative zu den Medikamenten. Bislang belohnt die Wall Street diejenigen, die auf den GLP-1-Zug aufgesprungen sind: Die Weightwatchers-Aktie hat sich in diesem Jahr mehr als verdoppelt, während Medifast um 26 Prozent gesunken ist.
Auch in Lebensmittelbranche Anpassungsbedarf
Die Auswirkungen auf die Lebensmittelindustrie könnten noch Jahre auf sich warten lassen und werden wahrscheinlich nicht so gravierend sein, aber Investoren sollten trotzdem aufmerksam bleiben. Unternehmen, die nur einen Art von - ungesunden - Produkten verkaufen, könnten einem höheren Risiko ausgesetzt sein, warnt Morgan-Stanley-Analyst Brian Harbour. Die meisten anderen Unternehmen in der Lebensmittel- oder Restaurantbranche werden damit zurechtkommen, auch wenn sie sich möglicherweise anpassen müssen.
"In der Realität werden sich viele Restaurantketten im Laufe der Zeit dem Verbrauchergeschmack anpassen", sagt Harbour. "Wenn McDonald's mehr Hähnchensandwiches und Karotten-Sticks anbieten muss, um das Geschäft zu halten, kann es das wahrscheinlich im Laufe der Zeit tun."
Ozempic und andere Adipositas-Medikamente werden weder Insulinpumpen noch den Süßwarenladen aus dem Geschäft drängen. Aber ihre Ankunft könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Fettleibigkeit ihren Höhepunkt erreicht hat, und einige Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen.
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August 21, 2023 07:47 ET (11:47 GMT)