Ausführungen von Annette Siering

- Vorständin der Fernheizwerk Neukölln AG -

Rede der Vorständin des Fernheizwerks Neukölln - Annette Siering - anlässlich der ordentlichen Hauptversammlung am 01. Juni 2023

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Aktionär: innen

Ich begrüße Sie recht herzlich zur Hauptversammlung 2023 - die dritte Hauptversammlung in Folge mit einem neuen Gesicht im Vorstand. Nicht ohne Stolz darf ich mich in der langen Geschichte des Fernheizwerkes Ihnen als erste Vorständin vorstellen.

Mein Name ist Annette Siering, 57 Jahre alt, eine Tochter, Diplom-Kauffrau und seit über 15 Jahren in leitenden Funktionen in Berliner Unternehmen tätig. Dabei war ich dem Kern- Versorgungsgebiet des FHWs in Neukölln schon früh - als kaufmännische Prokuristin der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND, als Vorständin der Berliner Bäderbetriebe mit dem historisch beeindruckenden Stadtbad Neukölln, welches auch an unserer Fernwärme hängt und dem immer wieder für Aufreger bekannten Sommerbad Columbia-Bad - verbunden. Nun möchte ich möglichst grüne, finanzierbare Fernwärme, besser "Kiezwärme" unserem Kundenkreis zur Verfügung stellen.

Lassen Sie mich ehrlich sein, meine Damen und Herren, es gibt fraglos schönere Momente für eine neue Vorständin des Fernheizkraftwerks Neukölln als auf der ersten Hauptversammlung den ersten Dividendenausfall nach 35 Jahren den Aktionär: innen verkünden zu müssen. Aber lassen Sie mich kurz skizzieren, wie es dazu kam und danach möchte ich Ihnen gerne auch aufzeigen, was Ihr Fernheizwerk im letzten Geschäftsjahr alles unternommen hat, um sich in bewegten Energiezeiten zukunftsfest zu machen.

Als ich Mitte August 2022 mein Amt als Vorständin dieser Gesellschaft übernommen habe, war der Ukrainekrieg ein halbes Jahr alt, zum Ende des Monats stoppte Russland die Lieferungen von Erdgas - damit fiel ein wesentliches Herkunftsland für unseren wichtigsten Brennstoff Erdgas komplett aus. Ein Szenario, das in keinem Prognosebericht auch nur im Entferntesten angedacht worden ist. Und noch zwei Zahlen, die die Dramatik in diesen Tagen verdeutlichen: Im August 2021 kostete die MWh Strom im Großhandel

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Fernheizwerk Neukölln AG HV 2023 Ausführungen von Frau Annette Siering

82,70 Euro - ein Jahr später im August 2022 363,49 Euro. Eine Verteuerung um den Faktor 3,5 binnen Jahresfrist. Auch sowas konnte sich zum Jahreswechsel 2021/22 kein Mensch ausmalen. Mitten im warmen Sommer 2022 machten wir uns beim Fernheizwerk ernsthaft Sorgen, ob wir im kommenden Winter 2022 - 2023 die Versorgungssicherheit für alle unsere Kundinnen und Kunden sicherstellen werden können, oder ob wir in eine Situation kommen würden, in welcher wir entscheiden müssen, welche Kundinnen und Kunden wir mit Wärme versorgen und welche wir frieren lassen müssen. Nie zuvor in der 111 jährigen Geschichte des Fernheizwerks war der Auftrag alle Kundinnen und Kunden in unserem Versorgungsgebiet sicher mit bezahlbarer Wärme zu versorgen so herausfordernd gewesen.

Die gute Nachricht ist, dass keiner unserer Abnehmer im letzten Winter frieren musste, alle wurden jederzeit sicher mit Wärme versorgt. Aber die Anstrengungen, die wir unternommen haben, um dies zu gewährleisten haben leider einige Spuren in unserer Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung hinterlassen.

Eine Zahl, die das am besten verdeutlicht sind, die operativen Aufwendungen, zu welchen u.a. die Material- und Personalkosten gehören: Diese stiegen im Geschäftsjahr 2022 im Vergleich zu 2021 um 84% von 31 Millionen Euro auf 57 Millionen Euro. Auch wenn im gleichen Zeitraum die Umsatzerlöse um 44% von 41 auf fast 60 Millionen Euro gestiegen sind, konnten diese die Kostensteigerung nicht ausgleichen. Der Löwenanteil an den stark gestiegenen operativen Aufwendungen ist den Materialkosten zuzuschreiben. Bereits vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges machte sich wegen der wirtschaftlichen post-Corona Erholung der Wirtschaft eine Rohstoffverknappung bemerkbar. Der Kriegsbeginn im Februar 2022 führte dann zu einer nie erwarteten Energiekrise. Preise für Brennstoffe wie Erdgas, Holzpellets und Steinkohle aber auch für die benötigten CO2-Zertifikate erreichten historische Allzeithochs. Wir beim Fernheizwerk haben zwar versucht die daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf das operative Ergebnis durch einen vielfältigen Brennstoffmix bei der Wärmeproduktion und der damit verbundenen flexiblen Fahrweise der Erzeugungsanlagen zu begrenzen, aber ganz verhindern konnten wir die Folgen nicht.

Lassen Sie mich das mit einigen Zahlen zum Brennstoffmix im Vergleich der Jahre 2021 und 2022 illustrieren:

  • Obwohl wir den Verbrauch von Erdgas, welches insbesondere als Brennstoff in unseren Blockheizkraftwerken eingesetzt wird um 32% reduzierten, mussten wir 77% mehr Geld aufbringen.
  • Die Menge der verbrauchten Holzpellets haben wir um fast 29% erhöht, dafür mussten wir aber 225% mehr bezahlen.

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  • Und noch eine letzte Zahl zum Brennstoffmix: Beim Brennstoff Heizöl haben wir die zur Wärmeproduktion eingesetzte Menge um 130% erhöht, mussten aber auch im Vergleich zum Vorjahr satte 303% höhere Kosten hierfür verbuchen.
  • Am stabilsten entwickelte sich die Steinkohle. An unserem Brennstoffmix blieb der Anteil der Steinkohl annähernd konstant und auch die Preisentwicklung fiel mit einem Anstieg von 39% eher moderat aus. Aber Steinkohl ist nicht die Zukunft. Wenn Sie unser Fernheizwerk etwas kennen, dann wissen Sie auch, dass wir bis zum Jahr 2025 Steinkohle aus unserem Brennstoffmix verbannt haben wollen.

Ein wesentlicher Anteil unseres Wärmegeschäfts wird über den Wärmeliefervertrag mit der Vattenfall Wärme Berlin beigestellt. Auch dieser war marktbedingt von Preissteigerungen gezeichnet. So konnten wir den Anteil des Wärmebezugs zwar um 33% reduzieren, mussten aber auch hier ein Kostenplus von 86% hinnehmen.

Dies bringt mich an dieser Stelle auch gleich zum Thema "Verhandlung eines neuen Wärmeliefervertrag" - ein Projekt, dass mir die Kolleginnen und Kollegen gleich am ersten Tag mit hoher Priorität nahegelegt haben. So gelang es uns einen neuen Vertrag zum 01.April 2023 mit einer Laufzeit von 36 Monate abzuschließen.

Die Auswirkungen dieser Turbulenzen an den Energiemärkten für Sie, unsere Aktionär: innen habe ich Ihne bereits geschildert, aber auch unsere Kundinnen und Kunden haben diese zu spüren bekommen. Im Vergleich von Oktober 2021 zu Oktober 2022 ist der Arbeitspreis um 64,52 Euro je Megawattstunde gestiegen - 150%. Aber auch der Emissionspreis hat sich fast verdoppelt. Da die halbjährliche Berechnung des Arbeitspreises der tatsächlichen Entwicklung der Kosten der Wärmeerzeugung mit zeitlicher Verzögerung folgt, konnte die drastische Anhebung des Arbeitspreises die deutlich höheren Kosten für den Brennstoffeinsatz zunächst nur abfedern aber nicht ausgleichen.

Im Gesamtblick zeigt sich dann das folgende Bild:

Den um 44% ausgeweiteten Umsatzerlösen standen um 84% höhere operative Aufwendungen entgegen. Bei nahezu konstanten Abschreibungen mussten wir ein EBIT von Minus 365 Tausend Euro hinnehmen. Auch vor dem Hintergrund der bereits in Umsetzung befindlichen Investitionen in die Wärmewende, verbietet uns dieses negative EBIT die Ausschüttung einer Dividende. Auf die Dividende werde ich später nochmals zu sprechen kommen.

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Meine Damen und Herren Aktionäre,

Für Fernwärmeerzeuger gibt es eine ganze Reihe von Gesetzen und Verordnungen die zu beachten sind. Für uns als Berliner Unternehmen besonders relevant ist das Berliner Klimaschutz und Energiewendegesetz. Ein Ziel des Gesetzes ist die Verminderung von CO2-Emissionen in Berlin und die Beendigung der Energieerzeugung auf Basis von Steinkohle bis zum Jahr 2030. Das Gesetz verlangt auch von Wärmenetzbetreibern die Vorlage eines Dekarbonisierungsfahrplans. In diesem müssen wir als FHW belegen, wie wir ab dem Jahr 2030 unsere Kiezwärme mit mindestens 40 Prozent erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme erzeugen. Aktuell arbeitet ein FHW Projektteam unterstützt mit externer Branchenexpertise mit Hochdruck an der Erstellung dieses Dekarbonisierungsfahrplans, denn seine Veröffentlichung und Vorlage bei der Regulierungsbehörde für Fernwärme ist bis zum 30. Juni 2023 Pflicht.

Die Umsetzung des Dekarbonisierungsfahrplan wird Kern unserer Strategie und wir halten am ehrgeizigen ersten Meilenstein - Kohleausstieg 2025 fest, der bezogen auf den gesamten Transformationspfad ein richtungsweisender Zwischensachritt sein wird.

Was haben wir nun in 2022 alles unternommen, um dieses Ziel zu erreichen?

  • Beim Brennstoffmix haben wir den Anteil der Biomasse - hier insbesondere Holzpellets
    - deutlich erhöht und konnten die Steinkohle aus der Heizperiode 2022/2023 erstmalig verdrängen.
  • Von Februar bis November 2022 bauten wir eine Gasdruckregelstation der Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg NBB für alle unsere erdgasbezogenen Erzeugungsanlagen. Diese ist seitdem rund um die Uhr aktiv. Diese Gasdruckregelstation ist eine Investition in unseren derzeitigen Anlagenpark. Da die Regelstation aber die Option bietet, auch auf Wasserstoff umgestellt zu werden, ist dies auch eine Investition in unsere Zukunft.
  • Auch die Errichtung von Berlins größtem Blockheizkraftwerk schreitet voran: Im Mai feierten wir Richtfest und schon im Juli wurde der tonnenschwere Motor eingebaut.
  • Im Oktober wurde die Großwärmepumpe geliefert. Mit dieser Wärmepumpe sind wir Teil des gleichnamigen Reallabors unter dem Dach des AGFW - dem Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und Kraft-Wärme-Kopplung.

Sie sehen, es war im letzten Jahr bei uns am Weigandufer einiges los - das FHW Neukölln war wahrlich eine Wärmewende-Baustelle. Wir verfolgen täglich unser Ziel, die Energiewende sozialverträglich voranzubringen und arbeiten konsequent auf unsere Klimaneutralität hin.

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Wir ruhen uns aber auf dem bislang erreichten nicht aus. Unser Ziel für 2023 ist es, das FHW Neukölln als Unternehmen zu stärken, damit wir auch in Zukunft aus eigener Kraft und mit Hochdruck unseren Beitrag- die Energiewende zu realisieren - leisten können

Konkret werden wir in 2023 das bereits im Bau befindliche Umspannwerk fertigstellen und - als Highlight - Berlins größtes Blockheizkraftwerk in Betrieb nehmen.

Als Reallabor werden wir den Einsatz der Großwärmepumpe weiter erforschen und damit Impulse für die Zukunft der Fernwärme geben können. Aber auch Themen wir Geothermie und die Einspeisung von industrieller Abwärme werden uns in 2023 beschäftigen.

Durch unsere Investitionstätigkeit im Jahr 2022 erhöhte sich das Anlagevermögen um 16% auf 12,1 Millionen Euro. Der größte Teil dieser Summe - nämlich fast 7 Millionen Euro - entfällt auf das neue Blockheizkraftwerk und die Großwärmepumpe. Um unseren Dekarbonisierungsfahrplan umzusetzen, planen wir im Jahr 2023 für die Modernisierung des Erzeugerparks ein Investitionsvolumen von 10,6 Millionen Euro. Für die Erweiterung unseres Versorgungsgebietes sind weitere 7,4 Millionen Euro budgetiert.

In diesem Zusammenhang ist dann auch die erstmalige Aufnahme von Fremdkapital zu sehen. Im Jahr 2022 haben wir ein Darlehn über ein Volumen von 25 Mio. € gezeichnet und eine erste Tranche von 7 Millionen Euro ausgezahlt bekommen. Die restlichen Tranchen erfolgten in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres. Die Laufzeit beträgt 10 Jahren und ab Dezember 2023 beginnen wir zu tilgen. Kreditgeber ist unser größter Aktionär - der Vattenfall Konzern. Vorstand und Aufsichtsrat haben die Bedingungen des Darlehns eingehend auf Marktgängigkeit geprüft.

Die Darlehnsaufnahme, erstmalig in der Geschichte des FHWs, war vor dem Hintergrund der Liquiditätssicherung zum Jahresende - die Aufwendungen für die Wärmeproduktion lagen deutlich über den Absatzpreisen, die jeweils mit einem Zeitverzug von sechs Monaten angepasst werden - aber auch vor dem Hintergrund der in 2023 und Folgejahre notwendigen Finanzierung der Investitionen in die Transformation des Erzeugerparks erforderlich.

Dies bringt mich zum Thema der Dividendenpolitik - auch hier sehen wir Handlungsbedarf:

Nach 35 Jahren Ausschüttung in Folge kann aufgrund des negativen EBT 2022 keine Dividende gezahlt werden. Die Energiekrise und die Anforderungen der Energiewende werden auch künftig einen hohen Finanzbedarf haben.

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FHW - Fernheizwerk Neukölln AG published this content on 14 June 2023 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 14 June 2023 09:08:08 UTC.