FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Roger Peeters zieht ein gemischtes Bild aus seinen momentanen Gesprächen mit Unternehmen und zieht acht Schlüsse über die Entwicklungen 2023.

17 2023. FRANKFURT (pfp Adisory).Traditionell sind die ersten Monate des Jahres immer von einer großen Dichte an Unternehmensmeldungen geprägt. Weil es eben nicht nur ein Q4-Quartalsbericht ist, sondern zumeist auch ein kompletter Jahresabschluss, berichtet fast jeder Konzern zweifach mit vorläufigen und endgültigen Zahlen. Da sich Letztere gerade bei kleineren Firmen oft bis tief ins zweite Quartal ziehen, mündet der Zahlenreigen in dieser Phase nahtlos in die Q1-Saison. Gefühlt ist in den ersten Monaten des Jahres also immer was los auf dem Unternehmensticker.

Die vielen Meldungen, Gespräche und Conference Calls, die ich 2023 bereits genutzt habe, zeigen bislang ein durchaus heterogenes Bild. Das erachte ich schon mal als positive Entwicklung, wenn eben nicht alle sich nach dem jeweiligen großen Treiber wie Corona, Krieg oder Geldpolitik ausrichten, sondern Geschäftsmodelle mal besser, mal schlechter funktionieren. In den vergangenen Dekaden zwar der normale Fall, nicht aber so wirklich in den Vorjahren. Und innerhalb dieser vielen verschiedenen Schattierungen sind wiederum einige Tendenzen ablesbar, von denen ich Ihnen einige kurz vorstellen möchte, wobei ich die originären Entwicklungen und die Wertung der Börse darauf gleichermaßen reflektieren möchte.

Erstens: Der Ausblick zählt. Noch mehr als sonst ohnehin rücken die Märkte 2023 die Ausblicke in den Fokus. Als Reaktion auf diese gibt es oft sehr deutliche Kursreaktionen. Dies basiert auf der noch hohen Unsicherheit, wie nun die Konjunktur verlaufen kann und wie sich der Kostendruck weitergeben lässt. Unternehmen reagieren auf diese Ungewissheit nach meiner Wahrnehmung, indem sie eher spät als früh kommunizieren, womit sie 2023 rechnen. Dies wiederum erhöht mitunter die Wahrscheinlichkeit für starke Kursreaktionen.

Zweitens: Die Lieferketten sind wieder überwiegend intakt. Von wirklich speziellen Ausnahmefällen abgesehen bekommen Unternehmen wieder alles, was sie brauchen in einem angemessenen Zeitraum und auch wieder zu bezahlbaren Frachtkosten.

Drittens: Impairments bleiben zumindest in der Breite (noch) aus. Sowohl bei den vielen Bilanzen mit vielen immateriellen Assets, oftmals Goodwill, als auch bei den ebenfalls auf Abzinsungsmodellen basierenden Wertansätzen realer Assets (Musterbeispiel hier: Immobilien) wäre es nicht verwunderlich, wenn die deutlich gestiegenen Zinsen für spürbare Wertberichtigungen gesorgt hätten. Bislang ist davon sehr wenig zu sehen. Der Blick auf die Charts vieler Bestandshalter im Real-Estate-Bereich dokumentiert übrigens, dass die Börse mit "aufgeschoben ist nicht aufgehoben" urteilt.

Viertens: Solide Bilanzen trumpfen auf. Glücklich sind in diesen Tagen Lenker von Firmen mit hohen Cash-Polstern, soliden Cashflows und wenig oder keinen Schulden. Sie können nicht nur wegen der eigenen Firmensteuerung ruhiger schlafen, sondern bekommen rein auf die Passivseite geurteilt momentan oft erhöhten Zuspruch von der Börse.

Fünftens: Geschäftsmodelle, die wesentlich auf Verschuldung Dritter basieren, haben es schlicht schwer. Dies ist etwa deutlich in der Baufinanzierung oder am Bau zu sehen, wobei hier Energiekosten und Regulatorik das Problem noch einmal deutlich verschärfen.

Sechstens, abgeleitet vom vorherigen Punkt: Ungewissheit im Sinne von Geschäftsmodellen, die erst in vielen Jahren Früchte tragen (oder eben nicht), werden wieder deutlich kritischer gesehen.

Siebtens: Inflation ist ein (noch) ein Thema. Verglichen mit zahlreichen Gesprächen im Jahr 2022 und übrigens auch schon in 2021 ist Inflation für Firmenlenker zwar immer noch relevant, aber doch schon deutlich besser beherrschbar. 2023 stehen gefühlt schon deutlich weniger Preiserhöhungen auf der Agenda, oft räumen Vorstände auf Nachfrage ein, wieder häufiger Rabatte zu geben. Es scheint mehr Druck aus dem Kessel zu sein, als die offizielle Statistik schon zeigt.

Achtens: Die deutsche Politik wird deutlich mehr beklagt, als es in meiner Wahrnehmung früher der Fall war. Gerade in Sachen Infrastruktur und Energieversorgung, viele Jahre klare Pluspunkte für den Wirtschaftsstandort Deutschland, wird sehr häufig offen wirtschafts- und fortschrittsfeindliche Politik beklagt. Musterbeispiel hier die immer noch nicht erfolgte Lösung für kompetitiven Industriestrom. Firmen lösen dies übrigens häufig durch lautlose Verlagerung in andere Regionen.

Das Fazit lautet übrigens, dass es kein (allgemeingültiges) Fazit gibt. Wir sind als Investoren Teil einer komplexen Gemengelage mit vielen kleinen und teilweise gegenläufigen Trends. In der Summe ergeben schwarz und weiß halt grau, eben deshalb ist der Blick auf das Einzelne interessanter als die aggregierte Betrachtung. Mir persönlich ist solches Stock-Picking-Umfeld übrigens viel lieber als große Makro-Trends, die alles übertünchen.

von Roger Peeters, 6. März 2023, © pfp Advisory

Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 25 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (LU1865032954), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds, sowie den im August 2021 gestarteten pfp Advisory Aktien Mittelstand Premium (WKN A3CM1J). Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)