Herr Cryan, 2017 sollte die Deutsche Bank erstmals seit drei Jahren wieder einen Nachsteuergewinn erzielen. Wie frustriert sind Sie, dass Ihnen die Bilanzkorrektur wegen der US-Steuerreform dies vermasselt hat?
Es ist schon ein bisschen ärgerlich. Wir erwarten für das Jahr 2017 ein positives Ergebnis vor Steuern, nach Steuern aber tatsächlich einen geringen Verlust. Allerdings werden wir künftig von den niedrigeren Steuern in den USA profitieren.

Hat der neuerliche Verlust Folgen für die Ausschüttung von Dividenden und die Zahlung von Boni an die Mitarbeiter?
Wir haben gesagt, dass wir für 2017 zum normalen System der variablen Vergütung zurückkehren wollen. Das gilt. Über die Dividende entscheiden Aufsichtsrat und Hauptversammlung.

Die Deutsche Bank ist mitten in einer Restrukturierung. Was erfordert derzeit Ihre höchste Aufmerksamkeit, und was sind Ihre Prioritäten für 2018?
2018 bringt eine Fortsetzung des Jahres 2017. Wir wollen die Grundlage für Wachstum schaffen und konzentrieren uns dabei auf zwei Bereiche: Erstens wollen wir neue Kundenberater anstellen. Zweitens wollen wir weiterhin stark in die Technologie investieren - und da müssen wir die Geschwindigkeit noch erhöhen. Gleichzeitig müssen wir beim Thema Kosten sehr diszipliniert bleiben.

Warum ist die Deutsche Bank im Vergleich mit anderen Instituten so spät dran mit der Restrukturierung und der Änderung des Geschäftsmodells?
Wir haben mit dem Umbau etwa fünf Jahre später begonnen als die Banken in den USA. Leider haben wir nach der Finanzkrise unsere Vorteile nicht genutzt und unser Geschäftsmodell viel zu spät angepasst. Dazu kommt: Die Digitalisierung hat das Wesen vieler Geschäfte geändert, beispielsweise den Handel von Wertschriften, der inzwischen überwiegend über Nichtbanken erfolgt.

War es letztlich ein Nachteil für die Deutsche Bank, relativ gut durch die Finanzkrise gekommen zu sein?
Die Deutsche Bank ist meines Erachtens nicht gut durch die Finanzkrise gekommen. Die UBS, mein früherer Arbeitgeber, ist in der Krise in Turbulenzen geraten und musste viel Kapital aufnehmen. Sie hat daraufhin das Zinsgeschäft in den USA eingestellt und andere weitreichende Korrekturen eingeleitet. Für die UBS waren das die richtigen Schritte. Bei der Deutschen Bank hat man die Belastungen dagegen eher über viele Jahre gestreckt. Die Bank hat zum Beispiel manche Sicherheiten von Schuldnern übernommen, so dass ihre Verbindlichkeiten aus den Büchern verschwanden. Dafür ist die Bank in den Besitz von Kasinos, Hotels und Häfen gekommen, die man später mühsam wieder loswerden musste - so sind viele finanzielle Schmerzen erst in den Jahren 2015 und 2016 virulent geworden. Auch die Deutsche Bank hätte damals einen härteren Schnitt machen sollen.

Einige Investoren kritisieren, die Deutsche Bank habe kein nachhaltiges Geschäftsmodell.
Mit den Ergebnissen sind wir ebenso wenig zufrieden wie unsere Investoren. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit unserem Geschäftsmodell auf dem richtigen Weg sind. Wir haben in Deutschland viel investiert und uns zum deutschen Privat- und Firmenkundengeschäft bekannt. Beim Mittelstand sind wir noch nicht so stark vertreten, wie wir es sein sollten, das können wir ausbauen. Unsere Transaktionsbank ist gut positioniert, wird aber noch besser werden, wenn wir weiter in die IT investieren. In der Investmentbank macht sich bemerkbar, dass wir einige grosse Handelsbücher verkleinern mussten, teils wegen der Regulierung, teils wegen des zu geringen Marktanteils. Es wird viel darüber diskutiert, ob der Rückgang der Erträge in diesen Bereichen zyklisch oder strukturell ist. Ich denke, er ist struktureller Natur.

Ist die Deutsche Bank noch eine Investmentbank? Manche Kritiker sagen, wenn sie keine Investmentbank mehr ist, dann ist sie nichts mehr.
Das ist schlichtweg falsch. Erstens sind wir eine Investmentbank und werden es auch bleiben. Zweitens sind wir die grösste Privat- und Firmenkundenbank in Deutschland mit mehr als 20 Millionen Kunden. Wir haben in den ersten neun Monaten 2017 im deutschen Privat- und Firmenkundengeschäft eine Rendite auf das materielle Eigenkapital von 7,3% erreicht. Dabei fragen sich Experten, wie man in Deutschland überhaupt über 3% kommen kann. In der Unternehmens- und Investmentbank sind die Renditen derzeit geringer. Das liegt auch an einigen grossen, alten Wertschriftenpositionen, vor allem bei Derivaten. Wir könnten sie verkaufen, aber nur zu sehr unattraktiven Konditionen. Die niedrigen Zinsen belasten uns ebenfalls, doch eines Tages werden sie steigen.

Wofür steht denn die Deutsche Bank?
Wir wollen die führende europäische Bank mit globalem Netzwerk sein. Was heisst das? Wir unterstützen unsere deutschen, europäischen, asiatischen und amerikanischen Kunden vor allem dann, wenn sie grenzüberschreitend tätig sind. Das internationale Geschäft war ein wesentlicher Grund dafür, dass die Bank gegründet wurde. In Deutschland sind wir zudem in mehreren Gebieten Marktführer. Hier macht uns zwar der Preisdruck zu schaffen, die Margen sind wohl die niedrigsten der Welt. Wir arbeiten dafür aber doppelt so effizient wie eine vergleichbare US-Bank. Umso bemerkenswerter finde ich es, dass wir in diesem Markt derzeit mit die höchsten Renditen erzielen - das unterstreicht unsere gute Position in Deutschland.

Aber das Problem sind nicht nur die Erträge, sondern auch die Kosten. Die Bank beschäftigt ein Heer von knapp 100 000 Mitarbeitern. Eigentlich müsste sie mit der Hälfte auskommen, oder?
Sie spielen auf eine Aussage von mir an, die anders interpretiert wurde, als sie gemeint war. Es geht um eine langfristige Entwicklung und nicht um kurzfristige Stellenabbauprogramme. Tatsache ist, dass wir kontinuierlich effizienter werden müssen. Es gibt zwei Gründe, warum wir so viele Mitarbeiter haben. Erstens, weil Handarbeit immer noch weit verbreitet ist. Zweitens, weil wir grosse Schwächen bei unseren internen Kontrollen hatten. Um das zu ändern, mussten wir viel Personal anstellen. Auch in diesem Bereich werden langfristig aber Computer einen grösseren Teil der Arbeit übernehmen.

Sie haben einige Mitarbeiter mit Ihren Aussagen zum zu hohen Personalbestand verschreckt. Wie ist der Zeitplan zur Reduktion der Mitarbeiterzahl?
Ich wollte niemanden verschrecken. Klar ist aber auch, dass die Deutsche Bank langfristig nur Erfolg hat, wenn sie viele Prozesse automatisiert. Da haben wir noch Nachholbedarf. Von unserer Kostenbasis von 24 Mrd. € machen die Personalkosten rund 12 Mrd. € aus. Natürlich werden durch die Automatisierung auch Arbeitsplätze wegfallen. Allerdings wird sich dieser Wandel über viele Jahre hinziehen. Wir werden versuchen, viele dieser Jobs durch die normale Fluktuation abzubauen. Zudem stellen wir konzernweit etwa 12 000 Mitarbeiter pro Jahr an - wenn es weniger sind, sinkt die Mitarbeiterzahl automatisch.

Die Kostenbasis soll bis 2021 von zuletzt 24 Mrd. € auf 21 Mrd. € sinken. Mit Verlaub, das klingt nicht gerade sehr ambitioniert.
Das sehe ich anders, das ist sehr ambitioniert. Man könnte die Kosten vielleicht noch stärker senken, aber dann bleibt nicht mehr genug Geld für Investitionen. 2017 haben wir zum Beispiel mehr investiert als ursprünglich geplant. Auch die Rückkehr zu unserem normalen System der variablen Vergütung ist für uns eine gute Investition, um unsere guten Leute zu halten und neue für uns zu gewinnen.

Die Integration der Postbank schreitet auch nicht wirklich zügig voran. Was ist der Grund dafür?
Ich wundere mich über Ihre Frage, denn wir liegen hier voll im Zeitplan. Vergessen Sie bitte nicht: Es ist die grösste Fusion, die es seit Gründung der europäischen Bankenaufsicht 2014 gegeben hat. Wir bauen eine Digitalbank, die IT- und die Abwicklungseinheiten werden fusioniert, und wir schaffen für die «blaue» und die «gelbe» Bank eine gemeinsame Zentrale mit zwei Standorten. Ausserdem ist es in Deutschland wichtig, alles im Konsens mit den Arbeitnehmern zu machen. Das dauert erst etwas - aber wenn man sich geeinigt hat, läuft es auch wie vereinbart.

Sie betreiben künftig nur noch einen Maschinenraum und stützen sich primär auf die beiden Marken Deutsche Bank und Postbank. Soll das so bleiben, oder werden die Postbank-Kunden nach und nach zu Kunden der Deutschen Bank?
Das ist nicht geplant. Die Kunden mögen beide Marken, und sie können sich auch künftig entscheiden, wo sie Kunde sein wollen. Wir werden niemanden irgendwohin schieben.

Können Sie beiden Kundengruppen die gleichen Produkte verkaufen?
Das wäre mit Blick auf die Kunden falsch. Postbank und Deutsche Bank haben zwar durchaus ähnliche Kunden. Diese haben jedoch bewusst ein jeweils unterschiedliches Bankangebot gewählt, und das zeigt sich bei den Produkten. Die Postbankkunden erwarten leicht verständliche, beratungsfreie und preiswerte Produkte. Die Deutsche-Bank-Kunden schätzen die Beratung, wollen auch komplexere Finanzierungswünsche erfüllt bekommen und setzen ein bestimmtes Bankambiente voraus.

Die Deutsche Bank hat rund 8600 Stellen in Grossbritannien. Wie viele werden mit dem Brexit nach Frankfurt verschoben?
Die in den Medien immer wieder genannte Zahl von 4000 ist viel zu hoch. Es ist primär eine Frage der Technologie. In London arbeiten vor allem Banker, Technologieexperten und Händler, die dort bleiben wollen. Sicher umziehen wird das Buchungszentrum. Das betrifft aber weniger Jobs, als viele denken. Wir gehen davon aus, dass wir zunächst einige hundert neue Jobs in Frankfurt schaffen, und nicht nur dort. Ein italienischer Mitarbeiter wechselt vielleicht lieber von London nach Mailand, um sich von dort aus um italienische Kunden zu kümmern. Italien unterstützt die Zuzügler durch günstige steuerliche Rahmenbedingungen. Paris tut das auch.

Frühere Chefs der Deutschen Bank standen in sehr engem Kontakt mit Berlin und hatten quasi einen Beraterstatus. Wie ist Ihre Beziehung zur Regierung?
Insgesamt sind unsere Beziehungen zur Berliner Politik gut. Es besteht eine angemessene Balance zwischen Distanz und Nähe. Ich persönlich werde Wolfgang Schäuble sehr vermissen. Ich respektiere ihn sehr. Wir stehen aber auch mit anderen Regierungen in regelmässigem Kontakt, etwa in Grossbritannien oder den USA. Wir sind eine globale Bank, wenn auch mit starken Wurzeln in Deutschland und Europa.

Wie wird die Deutsche Bank in fünf Jahren aussehen?
Viele Märkte werden dann kleiner, und unsere Position bei Firmenkunden wird dann besser sein. Zudem wird die Bank deutscher sein und im Rest Europas bei Unternehmenskunden attraktiver aufgestellt. Wir werden weniger Personal und niedrigere Kosten haben.

Wird John Cryan dann noch für die Bank arbeiten?
Mein Vertrag läuft noch zweieinhalb Jahre - die Frage, wie es danach weitergeht, wird mir zwar oft gestellt, stellt sich mir aber nicht.

Neue Zürcher Zeitung, 13.01.2018, Michael Rasch und Ermes Gallarotti
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Deutsche Bank AG veröffentlichte diesen Inhalt am 15 Januar 2018 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 15 Januar 2018 15:05:01 UTC.

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