Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft steht wegen der Belastungen durch Energiekrise, hohe Inflation und Lieferengpässen mit einem Bein in der Rezession.

Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte von Oktober bis Dezember überraschend um 0,2 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Dafür sorgten vor allem sinkende Konsumausgaben der Verbraucher, deren Kaufkraft wegen der steigenden Preise schwindet. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten eine Stagnation erwartet. In den drei ersten Quartalen 2022 hatte es noch jeweils zu einem Wachstum gereicht.

"Eine zumindest kurze Rezession wird damit wieder wahrscheinlicher", sagte LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch. Die meisten Experten rechnen im laufenden ersten Quartal ebenfalls mit einem Schrumpfen von Europas größter Volkswirtschaft. Ökonomen sprechen erst bei zwei negativen Quartalen in Folge von einer Rezession. Ab Frühjahr wird etwa vom Ifo-Institut wieder mit einem leichten Aufwärtstrend gerechnet, der die Rezession beenden würde.

Für das Minus am Jahresende ist vor allem der private Verbrauch verantwortlich. "Die Konsumenten sind nicht immun gegen eine Erosion ihrer Kaufkraft durch die rekordhohe Inflation", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Für eine milde Rezession spreche, dass die Zentralbanken in vielen Ländern wegen der Inflation ihre Zinsen massiv erhöhen mussten. Das machte etwa der Baubranche zu schaffen, da Immobilienkredite teurer werden. "Außerdem haben die deutschen Unternehmen schon einen guten Teil des hohen, während Corona entstandenen Auftragsbergs abgearbeitet", sagte Krämer. Er rechne weiter damit, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,5 Prozent schrumpfen werde.

"KÜRZER UND MILDER"

Die Bundesregierung hatte zuletzt vorsichtigen Optimismus verbreitet. "Es ist diesem Land gelungen, eine schlimme Wirtschaftskrise abzuwehren", hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung gesagt. "Wir gehen jetzt davon aus, dass die Rezession kürzer und milder ist - wenn sie denn stattfindet überhaupt." Für eine milde Rezession spricht, dass mit dem Ifo-Geschäftsklimaindex der wichtigste Frühindikator für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft zuletzt vier Monate in Folge gestiegen ist.

Für 2023 erwartet die Bundesregierung ein leichtes Wachstum von 0,2 Prozent, nachdem sie im Herbst noch von einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von 0,4 Prozent ausgegangen war. Im vergangenen Jahr hatte es auch wegen Corona-Nachholeffekten noch zu einem Plus von 1,8 (bisherige Schätzung: 1,9) Prozent gereicht, das wegen der zahlreichen Belastungen jedoch schwächer ausfiel als 2021 mit 2,6 Prozent. Die Konjunkturrisiken bleiben auch im laufenden Jahr hoch. "Hohe Energiepreise, Rekordinflation und ein weltweit merklich abgebremstes Wachstum begleiten unsere Unternehmen durch das Gesamtjahr", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Martin Wansleben. "Hinzu kommen die langfristigen Herausforderungen aus Struktur- und Klimawandel, demografischer Entwicklung und Digitalisierung."

(Mitarbeit: Reinhard Becker, redigiert von Kerstin Dörr - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Rene Wagner