Von Jon Sindreu

LONDON (Dow Jones)--Westliche Airlines werden sich voraussichtlich erst in Jahren von der Covid-19-Pandemie erholen. Die großen Flugzeughersteller sind deshalb vorerst auf die Widerstandsfähigkeit und das Wachstumspotenzial des chinesischen Marktes angewiesen. Aber durch Chinas eigene Ambitionen in der Luftfahrt und die damit verbundenen geopolitischen Spannungen könnte die Reise zu einer turbulenten Angelegenheit werden.

China selbst hat die Folgen der Pandemie hinter sich gelassen und ist zum größten Luftfahrtmarkt der Welt aufgestiegen. Der Luftverkehr ist verglichen mit dem Vorjahr um 8 Prozent gewachsen, wie Daten von der zu Oliver Wyman gehörigen Planestats zeigen. In den USA und in Europa liegen die Verkehrszahlen dagegen um 41 Prozent und 68 Prozent unter den Vorjahreswerten.

Da in den nächsten Jahren mutmaßlich 500 Millionen Chinesen zusätzlich zur Mittelschicht der Volksrepublik gehören werden, ist das Land auch für die Luftfahrtbranche eine riesige Wachstumschance. Die International Air Transport Association (Iata) prognostiziert ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 5 Prozent bei den Passagierzahlen im asiatisch-pazifischen Raum zwischen 2019 und 2039. Für die reifen westlichen Märkte wird dagegen mit einer Wachstumsrate von 2,2 Prozent gerechnet.

Nach einer leichten Liberalisierung 2004 sind Chinas Fluggesellschaften zur zweitgrößten Einnahmequelle für die beiden großen Flugzeughersteller Boeing und Airbus geworden. Beide haben dort inzwischen Werke eröffnet. Das Land gehört zu den wenigen Lichtblicken in ihrem Geschäft: So senkte Boeing im November zwar seine 20-Jahres-Prognose für den weltweiten Flugzeugbedarf um 2 Prozent, hob aber zugleich die Wachstumsschätzung für China um 6,3 Prozent auf 8.600 Verkehrsmaschinen an.


  China ist als Markt wichtig für die Bestseller 737 und A320 

Im Vergleich zum Rest der Welt ist China besonders wichtig für die 737-Reihe von Boeing und die A320-Familie von Airbus. Beide bilden das Rückgrat der Billig-Airlines. Auf China entfällt ein Viertel der 737-Max-Auslieferungen, die Boeing nach 20-monatigem Flugverbot nun wieder vermarkten will.

Chinas wahres Potenzial liegt jedoch auf der Langstrecke und damit bei den Großraumflugzeugen, deren Nachfrage am stärksten von Covid-19 und seinen Folgen beeinträchtigt ist. Bislang hatte nur die A330 eine breite Akzeptanz bei Chinas großen staatlichen Fluggesellschaften. Die aktuellen Bestellungen gehen jedoch in Richtung der wendigeren A350 und 787, auf die sich auch Airbus und Boeing konzentrieren.

Derzeit spiegeln die Auftragsbestände Chinas Bedarf an Flugzeugen noch nicht wider. Mit 4,4 Prozent erscheint der Anteil des Landes an den Festbestellungen von Boeing und Airbus zumindest viel zu niedrig. Die Analysten von Barclays weisen darauf hin, dass dies auf weniger als 20 Auslieferungen des A320 im Jahr 2023 hindeutet, verglichen mit einem jüngsten Jahresdurchschnitt von 120.

Die von den beiden westlichen Anbietern befürchtete Alternative besteht darin, dass China die Lücke im Bedarf bei den Schmalrumpfflugzeugen durch die C919 des chinesischen Staatsunternehmens Comac füllen könnte. Ironischerweise wäre ihre Entwicklung ohne die Hilfe der ausländischen Hersteller nur schwer möglich gewesen.

Allerdings verzögert sich der Start der C919. Wahrscheinlich wird sie nicht vor Ende 2021 in Betrieb genommen werden, überdies ist die anfängliche Produktionskapazität begrenzt. Eine internationale Verbreitung wird durch eine kürzere Reichweite und einen vergleichsweise schlechteren Kundenservice ebenfalls eingeschränkt.

Aber sie ist der Schlüssel für Pekings Wirtschaftsplan "Made in China 2025". Dies sollte nicht unterschätzt werden, besonders in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Die chinesische Regierung kann das Flugzeug zu sehr günstigen Preisen verkaufen, und sie kontrolliert im eigenen Land einen Großteil der Kunden.

Das Ergebnis des Rennens zwischen Comac und den westlichen Anbietern könnte geopolitisch entschieden werden. Vor ein paar Tagen veröffentlichte das US-Handelsministerium eine Liste chinesischer Unternehmen mit Militärverbindungen, denen der Kauf etlicher US-Güter und -Technologien künftig untersagt werden soll. Darunter befanden sich auch einige Comac-Tochtergesellschaften. Das würde der C919 womöglich einen schweren Schlag versetzen. Es ist unklar, ob der designierte Präsident Joe Biden diese harte Linie beibehalten wird. Falls doch, könnte Peking Vergeltung üben, indem es die Wiederzulassung der 737-Max verweigert.

Die Abhängigkeit der westlichen Flugzeugindustrie vom chinesischen Markt war noch nie so groß wie heute. Ebenso verhält es sich mit den Risiken für die anhaltende Dominanz der Volksrepublik.

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January 06, 2021 03:22 ET (08:22 GMT)