Von Patrick Thomas

NEW YORK (Dow Jones)--Im andauernden Kampf gegen das Unkraut auf dem Acker hoffen Landwirte auf ein gehyptes Hightech-Werkzeug: künstliche Intelligenz. Im jahrzehntelangen Kampf gegen invasive Pflanzen, vor allem solche, die gegen viele gängige chemische Spritzmittel inzwischen Resistenzen entwickelt haben, verlieren Farmer und Bauern weltweit an Boden. Die größten Argrarchemiekonzerne der Welt, darunter Bayer, Corteva, BASF und Syngenta, räumen ein, dass die Zeit knapp wird, neue Chemikalien zu entwickeln, die Unkräuter und andere Schädlinge wie Pilze und Insekten in Schach halten. Einige Unkräuter können inzwischen vier oder fünf verschiedenen Chemikalien widerstehen, sagte Bob Reiter, Leiter der Forschung und Entwicklung im Agrargeschäft von Bayer.

Die Landwirte wenden sich der Technik des Mischens von Herbiziden zu, um die wirksamste Formel der Unkrautbekämpfung zu finden, während die Hersteller versuchen, den mitunter langen Prozess der Identifizierung neuer Unkrautbekämpfungsmittel zu beschleunigen. "Wir erreichen langsam einen Zustand der Verzweiflung", sagte Reiter. "Es wird klar, dass uns die Mittel ausgehen, die tatsächlich funktionieren."

Bayer und Konkurrenten wie Corteva und Syngenta setzen nun darauf, dass neue KI-Systeme helfen, den langwierigen, komplizierten und kostspieligen Prozess der Markteinführung neuer Chemikalien zu beschleunigen. Ihre Bemühungen gelten dabei nicht nur neuen Herbiziden gegen Unkraut, sondern auch neuartigen Fungiziden und Insektiziden. Syngenta schätzt, dass KI die durchschnittliche Zeit, die es von der Entdeckung bis zur Vermarktung eines Wirkstoffs braucht, um ein Drittel verkürzen wird - von 15 auf 10 Jahre, dabei könnte die Zahl der nötigen Labor- und Feldtests um 30 Prozent verringert werden.

Bayer setzt ein KI-System ein, das intern den Namen Cropkey trägt. Es gleicht die Proteinstruktur eines Unkrauts mit einem chemischen Molekül ab, das auf diese Struktur abzielt - und zwar deutlich schneller, als Menschen das können. Moleküle, die mit Hilfe von Cropkey ausgewählt werden, könnten bei Feldversuchen eine höhere Erfolgsquote haben als die herkömmliche Forschung, sagte Reiter. Das würde Bayer einen Vorteil verschaffen, ähnlich dem Einsatz von KI in der Pharmabranche, wo es um eine beschleunigte Suche nach vielversprechenden Molekülen geht, die auf eine bestimmte Krankheit abzielen.


 KI kann in der Auswahlphase bereits Nebenwirkungen von Molekülen prüfen 

Ein Vorteil der Molekül-Auswahl mit Hilfe von KI besteht nach Angaben der Unternehmen darin, dass sie während dieses Prozesses bereits auf Produktionskosten, Umweltsicherheit und ihre Toxizität für den Menschen hin geprüft werden können. Vor allem Letzteres ist ein kritischer Punkt bei alle Pestiziden, die auf Pflanzen gesprüht werden, die der Ernährung des Menschen dienen.

Bayer hat das System bereits bei der Entwicklung des neuen Unkrautvernichters Icafolin geholfen, das 2028 in Brasilien auf den Markt kommen soll. Laut Unternehmens wird es das erste neue Herbizid seit mehr als 30 Jahren sein. Auch die Frühphasen-Forschungspipeline von Bayer füllt sich mit neuen Methoden zur Unkrautbekämpfung, und zwar mit dreimal so vielen Projekten wie noch vor einem Jahrzehnt.

Monsanto, heute ein Teil von Bayer, hat das Geschäft mit der Unkrautbekämpfung in den 1990er Jahren revolutioniert. Damals wurde Saatgut für Sojabohnen auf den Markt gebracht, das gentechnisch so verändert war, dass es sogar Glyphosat widersteht, einem Totalherbizid, das Pflanzen abtötet, indem es deren interne Proteinbildung unterbindet. Daraufhin stieg der Einsatz von Glyphosat-Spritzmitteln, darunter auch Roundup von Monsanto, sprunghaft.

Unkräuter haben sich seither weiterentwickelt. Wegen nachlassender Wirksamkeit von Glyphosat sind Landwirte zunehmend auf andere Herbizide angewiesen, um sogenannte Superunkräuter zu bekämpfen, die gegen mehr als eine Art von Chemikalien resistent sind. Roundup hat Bayer überdies Milliarden von Dollar durch Prozesse gekostet, in denen behauptet wurde, es verursache Krebs. Das Unternehmen bestreitet dies und behauptet, es sei sicher in der Anwendung.

Sean Elliot, Mais- und Sojabohnenbauer in sechster Generation aus Iroquois County im US-Bundesstaat Illinois, fand auf seinem Hof erstmals in den frühen 2000er Jahren das invasive Wasserhanf-Unkraut. Damals ließ es sich mit Roundup von Monsanto mühelos bekämpfen.

Zwei Jahrzehnte später kann Glyphosat das Unkraut nicht mehr stoppen. Elliott sagte, er mache sich jetzt Sorgen, dass der Wasserhanf die inzwischen von ihm verwendete Chemikalie 2,4-D auch überwindet. Er mischt 2,4-D nun mit der Chemikalie Glufosinat, um den Wasserhanf unter Kontrolle zu halten. In ein paar Jahren reicht das vielleicht nicht mehr aus. "Es ist erstaunlich, wie schnell er sich anpasst", sagte Elliott. "Wenn wir uns nichts einfallen lassen und ihn nicht unter Kontrolle bringen können, ist er so invasiv, dass man mit großen Ertragseinbußen rechnen muss."

Die Entwicklung von Pestiziden ist unter Umständen komplizierter als die Entdeckung von Medikamenten, sagte Bill Anderson, der Vorstandschef des deutschen Pharma- und Agrargiganten Bayer. Es ist inzwischen Jahrzehnte her, dass ein neuartiges Herbizidprodukt auf den Markt kam. Die Anbieter konzentrieren sich weitgehend auf schrittweise Verbesserungen der bereits am Markt befindlichen Hauptchemikalien.


 Pestizidentwicklung ist komplexer als Pharmaforschung 

"Man muss in der Lage sein, eine Pflanzenart abzutöten, ohne zugleich andere Arten zu vernichten, aber auch ohne Fische, Insekten und Vögel zu schädigen. Es muss sich in der Atmosphäre abbauen", sagte Anderson. "Die Chance, dies ohne die Hilfe von Computern richtig zu machen, ist verschwindend gering."

Jay Feldman, geschäftsführender Direktor von Beyond Pesticides, warnt unterdessen davor, neue Chemikalien gegen Unkräuter einzusetzen, die rasch Resistenzen gegen verschiedene Herbizide entwickeln. Das könnte das Problem noch verschlimmern und noch stärkere Superunkräuter hervorbringen, sagte Feldman. Beyond Pesticides, ansässig in der US-Hauptstadt Washington, macht sich für den geringeren Einsatz von Agrarchemikalien stark.

Das Vorgehen der Agrokonzerne mache ältere Herbizide überflüssig, sofern sie nicht mit neueren Chemikalien gebündelt werden, sagte Feldman. Landwirte seien in der Folge ausschließlich von neuem Saatgut und chemischen Produkten eines Unternehmens abhängig. "Damit stecken sie in einer Tretmühle für Pestizide", urteilte Feldman.

Bis vor fünf Jahren prüften die Unternehmen über ein Jahr lang Hunderttausende von chemischen Verbindungen. Potenzielle Verbindungen wurden in arbeitsintensiven Prozessen in Labors und Gewächshäusern getestet, um herauszufinden, wie sie mit anderen Pflanzen, Tieren, Menschen und der Umwelt interagieren und ob sie überhaupt auf den anvisierten Schädling wirken, sagte Shaun Selness, Leiter der neuen Technologien für das Agrargeschäft von Bayer.

"Man hat zwei oder drei Jahre im Feld verbracht, um die Skalierung voranzutreiben, eine Menge Zulassungsstudien durchgeführt und all das nur, um anschließend herauszufinden, dass wir das Produkt nicht auf den Markt bringen können", sagte Selness. "Das ist ziemlich häufig passiert." Der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Analyse und dem Screening chemischer Moleküle kann den Prozess nun auf etwa zwei bis drei Monate verkürzen und mögliche Toxizitätsprobleme früher im Entwicklungsprozess vorhersagen, sagte er.

Syngenta, der größte Verkäufer von Pestiziden in den USA, verfolgt nach eigenen Angaben einen ähnlichen Ansatz bei neuen Herbiziden und Insektiziden - das Unternehmen verwendet für alle Forschungsprojekte Machine-Learning-Modelle, um neue Wirkstoffe zu finden.

Die Technologie hilft dem Unternehmen nicht nur, die Folgewirkungen der neuen Produkte für die Umwelt besser einschätzen zu können, sondern auch bei der Beantwortung der Frage, wie sie kostengünstiger herzustellen wären, sagte Camilla Corsi, die Chefin der Pflanzenschutzforschung bei Syngenta. "Das hilft uns, alle Herausforderungen zu meistern, die unsere Branche bei der chemischen Innovation zu bewältigen hat."

Landwirt Sean Elliott aus Illinois begrüßt jede neue Technologie, die dazu beitragen könnte, seine Ernte in den kommenden Jahren zu retten. "Genau darum geht's", sagte er.

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July 18, 2024 05:56 ET (09:56 GMT)