Der Anblick des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seines Kabinetts, die diese Woche in Hamburg mit ihren deutschen Amtskollegen auf einem Boot Bier trinken, wird ein Bild der dauerhaften deutsch-französischen Freundschaft vermitteln.

Doch hinter der informellen Teambuilding-Übung, einer deutschen Regierungstradition namens "Klausur", verbirgt sich ein Machtkampf zwischen den beiden größten Mächten der Europäischen Union und dessen Auswirkungen auf eine Reihe von EU-Projekten.

Ob gemeinsame Verteidigungsprogramme, Atomenergie oder die Beziehungen zu China - Paris und Berlin sind sich in immer mehr Bereichen uneins.

In einer Rede im August machte Macron seine Frustration öffentlich, indem er die deutsche Position zur Kernenergie als "historischen Fehler" bezeichnete.

Frankreich ist eines der Länder mit den meisten Atomkraftwerken der Welt und produziert in der Regel mehr als 70% seines Stroms mit seiner Flotte von Reaktoren.

Die zunehmenden Spannungen zwischen den Hauptstädten offenbaren nicht nur einen Streit über technische Fragen, sondern auch einen Vertrauensbruch zwischen zwei Regierungen, die um wichtige wirtschaftliche Interessen und unterschiedliche Visionen für die Zukunft der EU kämpfen.

"Ich habe den Eindruck, dass die Regierungen nicht über wichtige Themen miteinander sprechen und wenn doch, dann nur über die Medien und manchmal durch Indiskretionen", sagte Detlef Seif, ein führender deutscher CDU-Gesetzgeber für EU-Angelegenheiten.

Dieser Mangel an Kommunikation ist es, der Berlin dazu veranlasst hat, diese Woche ein informelleres Treffen vorzuschlagen, so ein französischer Beamter.

ANTI-ATOMKRAFT-POLITIK

Am härtesten wird um die EU-Stromreform gekämpft.

Französische Beamte sind verärgert über das, was sie als deutschen Versuch bezeichnen, die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Atomindustrie zu sabotieren, deren billiger Strom ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte, während Deutschland mit hohen Gaspreisen zu kämpfen hat.

"Der Ausgangspunkt all dieser Streitigkeiten ist Deutschlands Anti-Atom-Politik, die über seine Grenzen hinausgeht", sagte Marc-Antoine Eyl-Mazzega, Leiter des Energiezentrums des in Paris ansässigen Think-Tanks IFRI.

Deutschland hat nach der Katastrophe von Fukushima in Japan 2011 den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen und seine letzten Reaktoren im April geschlossen.

Doch seit Deutschland nach dem Einmarsch in die Ukraine keinen Zugang mehr zu billigem russischen Gas hat, kämpft die deutsche Industrie mit steigenden Stromkosten. BASF, ein Vorzeigeunternehmen der deutschen Industrie, baut Arbeitsplätze in Europa ab und investiert stattdessen in China.

"Sie haben sich selbst in den Fuß geschossen, und jetzt wollen sie in unseren schießen, um sich zu rächen", sagte ein französischer Beamter gegenüber Reuters unter der Bedingung der Anonymität.

Deutschland und einige andere EU-Mitglieder drängen auf strengere Regeln für die staatliche Stützung der Strompreise. Berliner Beamte befürchten, dass Paris seinem nationalen Energieriesen EDF staatlich geförderte Festpreisverträge für Atomstrom anbietet und die daraus resultierenden Einnahmen zur Unterstützung der französischen Industrie verwendet.

Auch in Deutschland ist man besorgt, dass Frankreich Unternehmen mit billigerer Energie über den Rhein locken könnte, so ein Manager eines Unternehmens, der über die deutsch-französischen Verhandlungen informiert ist.

Es ist unklar, ob Frankreich und Deutschland vor dem entscheidenden EU-Energietreffen am 17. Oktober in Hamburg eine Einigung erzielen können, aber Analysten sind skeptisch.

"Frankreich scheint nicht mehr in der Stimmung für Kompromisse zu sein", schrieb Wolfgang Munchau im Newsletter von EuroIntelligence.

Das ist auch anderen europäischen Beamten nicht entgangen.

Ein EU-Diplomat sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die zerrütteten Beziehungen würden es dem Block erschweren, sich auf andere wichtige Entscheidungen zu einigen, wie z.B. die zukünftige Form der Unterstützung für die Ukraine.

CHEMIE UND VISION

Abgesehen davon, dass die Chemie zwischen dem französischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz nicht stimmt, ist der Antagonismus auf zwei unterschiedliche Visionen von der Welt zurückzuführen.

Macrons Konzept der "strategischen Autonomie", das Europa dazu auffordert, sich in Bereichen, die ihm politischen Einfluss verschaffen könnten, nicht auf externe Mächte zu verlassen, reibt sich an Deutschlands historischer Abhängigkeit vom amerikanischen Militärschirm.

Die Entscheidung Berlins, das Luftverteidigungssystem "European Sky Shield" mit amerikanischer und israelischer Hardware und nicht mit französisch-italienischer zu starten, veranlasste Paris im vergangenen Jahr, ein gemeinsames deutsch-französisches Treffen abzusagen.

Deutschland setzt sich seit langem für das Konzept "Wandel durch Handel" ein. Es ist der Überzeugung, dass der Handel zwischen Ländern nicht nur dazu beitragen kann, Konflikte zu vermeiden, sondern auch die Demokratie in bisher autokratischen Regimen zu fördern.

Obwohl das Konzept kritisiert wurde, weil es mit Russland gescheitert ist, glauben deutsche Beamte, dass Handelsbeziehungen mit einem Land wie China Konflikte verhindern könnten. Frankreich bevorzugt einen selbstbewussteren Ansatz.

Das wurde deutlich, als Brüssel eine Untersuchung über chinesische Elektrofahrzeuge einleitete, die die Franzosen unterstützten, gegen die Deutschland aber Vorbehalte hat, wie Beamte sagen.

"Während die Deutschen aufgrund ihrer umfangreichen Investitionen in China risikoscheu sind, sind die Franzosen bereit, mit einer Welt zu leben, in der Vergeltungsmaßnahmen Pekings immer wahrscheinlicher werden", so Noah Barkin, Analyst bei GMF Asia, in einer Notiz. (Weitere Berichte von Sarah Marsh in Berlin und Kate Abnett in Brüssel; Redaktion: Michel Rose; Bearbeitung: Rachel Armstrong und Elaine Hardcastle)