München (Reuters) - Der Rückzug aus Russland kostet den weltgrößten Industriegase-Konzern Linde fast eine Milliarde Dollar.

Im zweiten Quartal seien Sonderbelastungen von 993 Millionen Dollar verbucht worden, die zum größten Teil auf Abschreibungen und Entkonsolidierungseffekte der russischen Töchter zurückzuführen seien, teilte der deutsch-amerikanische Konzern am Donnerstag mit. Das sei zunächst nur ein Bilanzeffekt. "Uns gehören diese Anlagen immer noch, und wir wollen einiges davon verkaufen", betonte Finanzchef Matt White. Linde hatte das Neugeschäft in Russland gestoppt und fährt das verbleibende Geschäft geordnet herunter. Seit Juli werden die Umsätze nicht mehr bilanziert.

Von dem Rückzug betroffen ist vor allem der Anlagenbau, der in Pullach bei München sitzt. Er hatte Projekte aus Russland im Volumen von rund zwei Milliarden Dollar in den Büchern - etwa für Anlagen zur Gasverflüssigung für den russischen Erdgasriesen Gazprom. Weil diese Aufträge hinfällig sind, bangen die Mitarbeiter um ihre Jobs. Unternehmenskreisen zufolge geht es um 400 bis 500 Arbeitsplätze.

Linde-Chef Sanjiv Lamba bestätigte erstmals Abbaupläne, ohne aber Zahlen zu nennen. Es gehe darum, die Kostenbasis anzupassen, sagte er auf Fragen von Analysten. "Wir haben einen Restrukturierungsplan, den wir binnen weniger Monate umsetzen wollen." Immerhin seien im zweiten Quartal neue Aufträge über eine Milliarde Dollar hereingekommen, womit der Orderbestand im Anlagenbau auf fast drei Milliarden angewachsen sei. Linde hatte im Deutschland schon im vergangenen Jahr im Gasgeschäft Hunderte Stellen abgebaut.

Lamba, der im März an die Spitze von Linde gerückt war, versuchte den Analysten die Angst vor der drohenden Gasknappheit in Deutschland zu nehmen. Zum einen mache das Geschäft dort nur fünf Prozent des Konzernumsatzes aus. Zum anderen seien zwei Drittel davon Medizin- und Prozessgase, ohne die es nicht gehe. Man sei "in intensiven Gesprächen" mit der Bundesregierung. Das Risiko, dass sie Linde die Gaszufuhr abschneide, sei "minimal".

Im zweiten Quartal brach das Ergebnis aus dem fortgeführten Geschäft wegen des Russland-Rückzugs auf 372 (Vorjahr 840) Millionen Dollar ein. Bereinigt um Sondereffekte wäre es laut Linde um elf Prozent auf 1,57 Milliarden Dollar gestiegen. Mit 3,10 Dollar je Aktie übertraf das bereinigte Ergebnis, das Linde als Erfolgsmaßstab nimmt, die eigene Prognose von 2,90 bis 3,00 Dollar. Der Umsatz sei zwischen April und Juni um zwölf Prozent auf 8,46 Milliarden Dollar gestiegen, zum größten Teil aufgrund von Preiserhöhungen. Auch der französische Rivale Air Liquide berichtete, er habe steigende Erdgas-Preise auf die Kunden abwälzen können, vor allem in der Industrie und der Elektronik-Branche.

Für das Gesamtjahr schraubte Linde die Erwartungen erneut leicht nach oben, obwohl das Russland-Geschäft herausfällt: Der Gewinn je Aktie soll zwischen 11,73 und 11,93 (bisher 11,65 bis 11,90) Dollar liegen, das wären zehn bis zwölf Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Linde gehe dabei von einem Nullwachstum für die Weltwirtschaft aus. "Wenn es besser wird, schneiden wir besser ab", sagte White.