Der Mann, der den Finanzmärkten zuflüstert, hat für Freude gesorgt: Bei seinen aufeinanderfolgenden Anhörungen vor dem Repräsentantenhaus und dem Bankenausschuss des Senats machte der Vorsitzende der Federal Reserve deutlich, dass er sich der Risiken bewusst sei, die eine restriktive Politik für die Gesundheit der US-Wirtschaft darstellt. Gleichzeitig betonte er, dass ein zu frühes Nachlassen des Drucks die Inflation wieder anheizen könnte. Nachdem er zuvor sowohl warme als auch kalte Töne angeschlug, hat der unerwartet "dovishe" Ton die Erwartungen der Anleger an zukünftige Zinssenkungen bestätigt. Laut dem Fedwatch-Tool des CME liegt die Wahrscheinlichkeit einer Senkung um 25 Basispunkte beim Juni-Treffen nun bei fast 60%. Rechnet man die Optimisten hinzu, die auf eine Senkung um 50 Basispunkte wetten, übersteigt die Zahl sogar 70%.

Die Töne von Christine Lagarde sind kaum anders: Nachdem sie ihre Leitzinsen erwartungsgemäß unverändert gelassen hatte, bestätigte die EZB den guten Kurs der Preisentwicklung. Auch wenn sie noch keinen Sieg verkündet, ist die Abschwächung der Rhetorik nicht unbemerkt geblieben. Als Beweis dient die Entspannung der Anleiherenditen in der Eurozone, die zeitgleich mit den Ankündigungen der Europäischen Zentralbank eintrat. Die 10-jährige deutsche Bundesanleihe stoppte Anfang des Monats an ihrem 200-Tage-Durchschnitt bei 2,50%. Allerdings wird man auf einen Bruch der 2,25%-Marke am Ende des Handelstages warten müssen, um der Erholung, die seit Jahresbeginn begonnen hat, mehr Glaubwürdigkeit zu schenken - mit einer erwarteten Rückkehr auf 1,90%. Die 10-jährige US-Staatsanleihe hat die erste Unterstützung bei 4,20% hinter sich gelassen und testet nun die 4,07%, deren Durchbrechen ebenfalls die jüngsten Tiefststände bei 3,85/78% wieder ins Spiel bringen würde.