Brüssel/Berlin (Reuters) - Zahlreiche EU-Staaten sind noch unentschlossen, ob sie die von der Europäischen Kommission angekündigten Sonderzölle auf chinesische Elektroautos unterstützen sollen.

Das geht aus Anfragen der Nachrichtenagentur Reuters bei den 27 EU-Mitgliedern hervor. Demnach wägt die Mehrheit der Staaten noch die Vor- und Nachteile eines eskalierenden Handelsstreits mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ab. Zu dieser Gruppe gehören Regierungsangaben zufolge unter anderem Griechenland, die Tschechische Republik, Irland und Polen. In Belgien gibt es derzeit eine Übergangsregierung, in den Niederlanden ist die neue Regierung erst diese Woche zustande gekommen.

Wegen der Sonderzölle hat die Regierung in Peking mit umfangreichen Gegenmaßnahmen gedroht. Regierungskreisen zufolge ist Deutschland gegen die EU-Pläne. Deutsche Autobauer haben im vergangenen Jahr ein Drittel ihrer Umsätze in der Volksrepublik gemacht. Frankreich gehört dagegen zu den Unterstützern, auch Italien und Spanien sind dafür. Die drei Schwergewichte repräsentieren allein 40 Prozent der EU-Bevölkerung.

In den nächsten Wochen sollen die EU-Mitglieder eine erste Empfehlung aussprechen - ein wichtiger Trend für die Kommission. Die vorläufigen Sonderzölle sollen am Donnerstag bestätigt werden. Die Brüsseler Behörde wirft China unfaire Wettbewerbspraktiken vor. Eine Abhängigkeit von China wie in der Solarindustrie soll bei E-Autos verhindert werden. Die Regierung in Peking könnte im Gegenzug aber höhere Zölle auf Cognac, Schweinefleisch und Luxusautos erheben.

HABECK HOFFT AUF LÖSUNG AM VERHANDLUNGSTISCH

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der gerade zu einem Besuch in China war, sagte in Berlin, weder Deutschland noch China hätten ein Interesse an steigenden Zöllen. "Wenn man die jeweilige Sichtweise der anderen Seite ernst nimmt, dann gibt es einen guten Korridor einer Lösungsmöglichkeit." Die neuen EU-Zölle würden zwar auf dem Papier ab Donnerstag gelten, würden aber erst ab November wirklich fällig. "Und diese Zeit, meine ich, muss genutzt werden, dass eine politische Lösung, eine Verhandlungslösung erreicht wird."

Die EU-Kommission hat vor allem chinesische E-Auto-Hersteller wie BYD, Geely und SAIC im Visier. Für BYD soll ein zusätzlicher Importzoll von 17,4 Prozent gelten, für Geely von 20 Prozent und für den Volkswagen-Partner SAIC von 38,1 Prozent. Analysten rechnen mit milliardenschweren neuen Kosten für die Unternehmen. Dies könnte ihre Expansion in Europa bremsen.

Mit den Maßnahmen wird die EU-Kommission nach Ansicht der deutschen Autoindustrie aber das Gegenteil dessen erreichen, was sie beabsichtigt. "Die Anti-Subventionszölle würden Elektrofahrzeuge auf dem europäischen Markt verteuern oder dafür sorgen, dass sie gar nicht erst auf den Markt kommen", warnte der Verband der Automobilindustrie (VDA) in einem Positionspapier.

Nach einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts ist nur ein Drittel der 162 befragten deutschen Volkswirte gegen Ausgleichszölle. Die Hälfte der Professorinnen und Professoren hält den EU-Vorschlag für passend. Fast drei von vier Ökonomen sehen das Risiko, dass China die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von dem Land ausnutzen wird, um außenpolitische Ziele durchzusetzen. Für ein De-Risking - also die Suche nach alternativen Märkten, aber keine Entkoppelung von China - sprachen sich 69 Prozent der Befragten aus.

(Bericht von Philip Blenkinsop, Nick Carey, Ilona Wissenbach, Alexander Ratz und Christian Krämer; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)