Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz ist in der Wirtschaft zum Teil auf große Vorbehalte gestoßen. "Der heute veröffentlichte Entwurf des europäischen Sorgfaltspflichtengesetzes schießt deutlich über das Ziel hinaus", erklärte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura. "Er lässt sogar das ohnehin schon problematische deutsche Lieferkettengesetz hinter sich."

Wie erwartet würden nun auch noch Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen vorgeschrieben. "Insbesondere die geplante zivilrechtliche Haftung lehnen wir ausdrücklich ab", sagte Jandura. Ihm sei es "völlig schleierhaft, wie Unternehmen diese Masse an Vorgaben aus Brüssel umsetzen sollen". Nötig seien ein praxistaugliches Gesetz und gleiche Wettbewerbsbedingungen in der ganzen EU. Jandura forderte zudem "einen verbindlichen Rechtsrahmen für kleine Unternehmen".

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, betonte, der Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz sei "ein starkes Signal dafür Sorge zu tragen, dass es bei Lieferanten nicht zu Verstößen gegen Menschenrechte und Umweltstandards kommt".


Kritik an Einbeziehung kleineren Mittelstands 

Der Entwurfstext gehe inhaltlich wie im Anwendungsbereich über das noch nicht einmal in Kraft getretene deutsche Lieferkettengesetz hinaus. "Zu begrüßen ist eine einheitliche europäische Regelung, auch wenn Unternehmen aus Drittstaaten, die in der EU aktiv sind, weiterhin nicht erfasst werden", erklärte Asmussen. Kritisch zu sehen sei, dass "selbst Teile des kleineren Mittelstands durch die neuen Vorschriften erfasst" würden.

Unterdessen erklärte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) unter Berufung auf eine eigene Studie, dass die Kommission mehr Unternehmen in die Pflicht nehmen wolle, höhere Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten sicherzustellen, führe zwar zu mehr Transparenz, aber auch zu mehr Bürokratie und höheren Kosten. Jedes fünfte Unternehmen wolle demnach die Preise erhöhen, um die Mehrkosten auszugleichen.

18 Prozent der vom IW befragten Unternehmen wollten nur noch Vorprodukte aus Ländern beziehen, die ausreichend auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards achteten. Etwa 12 Prozent planten, sich aus Ländern mit schwachen Governance-Strukturen zurückzuziehen - davon wären vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer betroffen.


Union will sich Verschärfungen genau ansehen 

Aus der Politik wurden ebenfalls Nachbesserungen gefordert. So erklärte Unions-Fraktionsvize Jens Spahn, die über das deutsche Gesetz hinausgehenden Punkte müsse man sich "sehr genau ansehen, damit die Unternehmen damit nicht vor kaum lösbare Herausforderungen gestellt werden". Die Kommission wolle etwa für bestimmte mittelständische Unternehmen Sorgfaltspflichten für die gesamte Lieferkette auferlegen. Und sie schaffe eine zivilrechtliche Haftung mit schwer einschätzbaren Risiken, was zum Rückzug mittelständischer Unternehmen aus bestimmten Ländern und Regionen führen könne. "Für die Menschenrechte wäre damit nichts gewonnen, im Gegenteil", warnte er.

Die Linke forderte hingegen, die Reichweite des Lieferkettengesetzes noch auszuweiten. "Dass die EU-Kommission europäische Konzerne sowohl für Menschenrechtsverletzungen als auch für Umweltzerstörungen entlang der Lieferkette haftbar machen will, ist eine gute Nachricht. Die Reichweite des Lieferkettengesetzes muss aber unbedingt erweitert werden", sagte ihr industriepolitischer Sprecher Alexander Ulrich. Das Lieferkettengesetz würde in der aktuellen Fassung nur für ein Prozent der Unternehmen gelten. "Das muss geändert werden, denn nicht nur die größten Konzerne müssen mehr Verantwortung übernehmen."

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge lobte ihrerseits, dass die EU-Kommission einen Vorschlag vorgelegt habe. "Wir haben als Koalition vereinbart, dass wir ein wirksames EU-Lieferkettengesetz unterstützen, das auf den UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte basiert", hob Dröge hervor.

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February 23, 2022 08:32 ET (13:32 GMT)