Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in einer Rede bei den Vereinten Nationen (UN) vor "Scheinlösungen" für den Ukraine-Krieg gewarnt, die "Frieden" lediglich im Namen trügen. "Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat", betonte er bei der UN-Generalversammlung laut seinem Redetext. "Das muss nun endlich auch in Moskau verstanden werden." Russland sei für den Krieg verantwortlich, und es sei Russlands Präsident Wladimir Putin, der ihn mit einem einzigen Befehl jederzeit beenden könne. "Doch damit er das tut, muss er verstehen, dass wir - die Staaten der Vereinten Nationen - es ernst meinen mit unseren Prinzipien", hob der Bundeskanzler hervor.

In seiner Rede bekannte sich Scholz zu den UN als Instanz politischer Ordnung in einer zunehmend multipolaren Welt und machte sich dabei für eine Reform des UN-Sicherheitsrats stark. "Nur die Vereinten Nationen - auf Basis der Werte, die in ihrer Charta verkörpert sind - lösen den Anspruch universeller Repräsentanz und souveräner Gleichheit aller vollumfänglich ein", sagte er. Das gelte ansonsten weder für die G7 oder die G20 noch für die Brics-Staaten oder andere Gruppen. "Wer in einer multipolaren Welt nach Ordnung sucht, der muss hier, bei den Vereinten Nationen, beginnen", betonte der Kanzler.

Allerdings dürften die UN auch "nicht am Status quo kleben", forderte Scholz. Bisher bildeten sie die Realität einer multipolaren Welt nicht ausreichend ab. "Nirgendwo ist das so augenfällig wie bei der Zusammensetzung des Sicherheitsrats", sagte Scholz. Afrika gebühre mehr Gewicht, so wie auch Asien und Lateinamerika. Unter dieser Prämisse lasse sich "über einen Text mit verschiedenen Optionen" verhandeln. Solche ergebnisoffenen Verhandlungen solle kein Land mit Maximalforderungen blockieren. "Das tut auch Deutschland nicht." Letztlich liege es in der Hand der Generalversammlung, über eine Reform des Sicherheitsrates zu entscheiden. Bis dahin wolle Deutschland als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates Verantwortung übernehmen.

Mit Blick auf den 50. Jahrestag des deutschen UN-Beitritts betonte Scholz, Deutschland fühle sich drei dafür grundlegenden Idealen "zutiefst verpflichtet": dem Verzicht auf Gewalt als Mittel der Politik, der Ablehnung jeder Form des Revisionismus und dem Bekenntnis zur Zusammenarbeit über Trennendes hinweg. Bedenken, die UN seien oft handlungsunfähig aufgrund ihrer heterogenen Mitgliedschaft, hielt Scholz entgegen, die Blockade einiger weniger dürfe "nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir, die ganz große Mehrheit der Staaten, uns in vielem einig sind. Wir alle, fast alle, wollen, dass Gewalt als Mittel der Politik geächtet bleibt." Alle hätten ein Interesse daran, dass die Souveränität, territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Länder geachtet wird.


   Gemeinsam mehr tun für Klimaziele 

"An diesen Prinzipien müssen wir alle, - ob groß oder klein - uns messen lassen. Diese Prinzipien müssen auch bei der Neuordnung unserer multipolaren Welt die Grundlage bilden", forderte Scholz. Nur dann ließen sich auch die globalen Herausforderungen lösen, die größte sei der menschengemachte Klimawandel. "Statt auf andere zu warten, müssen wir alle gemeinsam mehr tun für die Erreichung der Pariser Klimaziele", mahnte Scholz. Die wirtschaftliche Entwicklung müsse man entkoppeln vom CO2-Ausstoß. "Als starkes Technologieland bieten wir an, hier zum gemeinsamen Wohl zusammenarbeiten", sagte Scholz.

Deutschland erfülle seine Zusagen zur internationalen Klimafinanzierung. "Von 2 Milliarden Euro im Jahr 2014 über 4 Milliarden Euro im Jahr 2020 haben wir unseren Beitrag im letzten Jahr auf 6 Milliarden Euro verdreifacht." Die Industrieländer würden dieses Jahr wohl erstmals ihr Ziel von 100 Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung erfüllen. Scholz nannte dies ein "überfälliges Signal", bevor im Dezember bei der Weltklimakonferenz in Dubai Bilanz gezogen und über neue Klimaschutzpläne ab 2030 verhandelt werde. Der Kanzler warb dafür, "dass wir uns in Dubai klare Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien und für mehr Energieeffizienz setzen".

Um die nötigen Investitionen zu ermöglichen, müsse man die Schuldenkrise vieler Länder adressieren und die internationale Finanzarchitektur modernisieren. "Deutschland klebt nicht am Status quo - auch in dieser Frage nicht", betonte Scholz. "Wir wollen, dass sich etwas ändert." Erneut warb er für eine Reform der multilateralen Entwicklungsbanken, damit sie mehr zur Finanzierung von globalen öffentlichen Gütern wie dem Schutz von Klima und Biodiversität oder der Prävention von Pandemien beitragen könnten.

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September 20, 2023 00:05 ET (04:05 GMT)