FRANKFURT (dpa-AFX) - Die deutsche Wirtschaft steckt in der Flaute fest. Nach dem frostigen Konjunkturwinter fiel der erhoffte Frühjahrsaufschwung aus. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte preis-, saison- und kalenderbereinigt im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden anhand vorläufiger Zahlen mitteilte. Die Aussichten für die kommenden Monate haben sich nach Einschätzung von Ökonomen zudem eingetrübt.

Einschätzungen von Ökonomen im Überblick:

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank

"Die Weltwirtschaft insgesamt erweist sich eher in einem schwierigen Zustand. Darunter leidet die deutsche Wirtschaft. Gleichzeitig muss es auch nicht verwundern, dass die privaten Verbraucher in Anbetracht einer rekordhohen Inflation nicht in bester Spendierlaune sind. Die deutsche Wirtschaft leidet also besonders deutlich unter den äußeren Umständen. Die europäischen Südländer profitieren von der gutlaufenden Tourismussaison. Das Wachstumsranking wird sich im Falle eines globalen Aufschwungs rasch wieder verschieben. Bis dahin bedarf es allerdings noch etwas Geduld."

Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank

"Die Probleme kommen von allen Seiten: Die Inflation hat die Konsumnachfrage ausgezehrt, der Export leidet unter einer globalen Investitionsgüterschwäche und die Industrie zusätzlich unter hohen Energiepreisen. Die Vorquartale wurden zwar etwas nach oben revidiert, aber es bleibt dabei, dass der Wind der deutschen Wirtschaft mitten ins Gesicht bläst. Eine Stabilisierung deutet sich erst Richtung 2024 an, wenn die Konsumnachfrage durch die hohen Lohnabschlüsse wieder gestärkt wird."

Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING Bank

"Mit Blick auf die Zukunft lassen die kürzlich veröffentlichten Stimmungsindikatoren nichts Gutes für die Wirtschaftsaktivität in den kommenden Monaten erwarten. Tatsächlich sprechen die schwache Kaufkraft, die geschwächten Auftragsbücher in der Industrie sowie die Auswirkungen der aggressivsten geldpolitischen Straffung seit Jahrzehnten und die erwartete Abschwächung der US-Wirtschaft für eine schwache Wirtschaftsaktivität."

Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ Bank

"Vielmehr befindet sich die hiesige Konjunktur im Übergang von Rezession und Erholung. Und es ist noch nicht ausgemacht, in welche Richtung es in den kommenden Monaten weitergehen wird. Im zweiten Quartal haben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Konsumausgaben der Haushalte wieder stabilisiert, die im Winter besonders unter den hohen Energie- und Lebensmittelpreisen gelitten haben. Dabei dürften die teils kräftig steigenden Einkommen geholfen haben. Damit es aber zu einer Erholung kommt, muss die Inflationsrate weiter sinken."

Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg

"Im zweiten Quartal half wohl eine gewisse Stabilisierung des privaten Konsums. Für das dritte Quartal stehen indes die Vorzeichen gesamtwirtschaftlich schon wieder auf Schrumpfung. Damit wird für das Gesamtjahr 2023 aller Voraussicht nach ein negatives Ergebnis für das BIP-Wachstum zu verzeichnen sein. Deutschland sitzt eindeutig im Bremserhäuschen des europäischen Konjunkturzuges."

Ralph Solveen, Analyst Commerzbank

"Die deutsche Wirtschaft hat im zweiten Quartal stagniert. Der allgemein erwartete leichte Anstieg blieb damit aus. Allerdings wurde dies dadurch ausgeglichen, dass die Ergebnisse für die Vorquartale etwas nach oben revidiert wurden. Darum rechnen wir für dieses Jahr weiter mit einem Schrumpfen der deutschen Wirtschaft um 0,5 Prozent, zumal die fallenden Frühindikatoren befürchten lassen, dass das reale Bruttoinlandsprodukt im zweiten Halbjahr wieder fallen wird."

Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank

"Angesichts der schwachen Juli-Daten könnte das BIP aber auch im zweiten Halbjahr weitgehend stagnieren. In einem solchen Szenario könnte die jährliche BIP-Rate für 2023 auf -0,5 - oder gar darunter - sinken, verglichen mit unserer aktuellen Prognose von -0,3 %, die dem Konsens entspricht. Darüber hinaus würde ein nahezu flaches zweites Halbjahr die Prognosen für 2024 kräftig rupfen. Unsere vorsichtige Prognose von +0,5 % wäre dann wohl zu hoch. Der Konsens, der derzeit noch bei 1 % liegt, müsste deutlich sinken."/jkr/jsl/zb