Berlin (Reuters) - Top-Ökonomen sowohl der Arbeitgeber- als auch der Gewerkschaftsseite plädieren für zusätzliche Schulden, um die marode Infrastruktur zu modernisieren.

In den nächsten zehn Jahren gebe es einen zusätzlichen Investitionsbedarf von knapp 600 Milliarden Euro, sagte Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), am Dienstag in Berlin. Dies sei mit der Finanzplanung der staatlichen Haushalte nicht zu stemmen. Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) betonte, eine Besserung könne es nur über eine Reform der Schuldenbremse oder ein neues Sondervermögen geben. Denkbar wäre eine "Goldene Regel", die dem Staat erlaube, Kredite im Umfang der Investitionen aufzunehmen - zusätzlich zur Schuldenbremse, die die Kreditaufnahme begrenzt.

Beide Institute hatten den zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf für die folgenden zehn Jahre 2019 schon einmal beziffert, damals auf mindestens 460 Milliarden Euro. Seitdem habe der Druck zugenommen, auch durch die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine.

Der Zustand der maroden Infrastruktur wirke sich bereits auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität des Standorts aus, sagte Hüther. "Es ist nichts besser geworden." Er verwies auf die Deutsche Bahn, aber auch die Kommunikationsnetze und fehlende Wohnungen. "Wir haben Handlungsbedarf jetzt." Trotzdem sei eine Änderung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse schwer vorstellbar. Ein Sondertopf an der Schuldenbremse vorbei könne daher für Planungssicherheit sorgen.

In den 600 Milliarden Euro sind den Ökonomen zufolge keine Subventionen für die Industrie und deren Betriebskosten enthalten, um die Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität zu unterstützen. Die Summe ist allein für den sogenannten Kapitalstock vorgesehen, also etwa Kraftwerke, Schienenwege oder Gebäude.

Laut IW und IMK sind rund 177 Milliarden Euro nötig, um den Sanierungsstau bei Städten und Gemeinden aufzulösen. 200 Milliarden Euro veranschlagen die Wissenschaftler für öffentliche Investitionen in den Klimaschutz. Größter Einzelposten dabei sei die energetische Gebäudesanierung. Weitere wichtige Aufgaben seien der Netzausbau für Strom, Wasserstoff und Wärme, die Erzeugung und das Speichern von erneuerbaren Energien sowie die Förderung von Energieeffizienz. 127 Milliarden Euro sind für Verkehrswege und den öffentlichen Nahverkehr nötig. Das Schienennetz müsste mit knapp 60 Milliarden Euro am meisten abbekommen. Für Bildungsinfrastruktur veranschlagen die Ökonomen 42 Milliarden Euro, etwa für den Ausbau von Ganztagsschulen oder die Sanierung der Hochschulen. Zusätzlich knapp 37 Milliarden Euro müssten demnach in den sozialen Wohnungsbau fließen.

(Bericht von Christian Krämer, redigiert von Klaus Lauer. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)