Ex-Mitarbeiter: wie die US-Bank Merrill Lynch die deutsche Steuerkasse
per Cum-Ex plünderte
Hamburg (ots) - Zum ersten Mal schildert ein früherer Mitarbeiter der 
US-amerikanischen Investment-Bank Merrill Lynch öffentlich, wie sogenannte "Tax 
Trader", also Steuerhändler der Bank, über Jahre hinweg die deutsche Steuerkasse
mit Cum-Ex- und vergleichbaren Geschäften geplündert haben. Der Insider, der im 
Londoner Handelsraum von Merrill Lynch gearbeitet hat, berichtet dem ARD-Magazin
"Panorama" (NDR), Zeit Online sowie der "New York Times" von verbotenen 
Preisabsprachen, Kreisgeschäften mit milliardenschweren Aktienpaketen und der 
bisher wenig beachteten Rolle der US-Behörden im Cum-Ex-Skandal. Der Insider 
will anonym bleiben, weil er juristische Schritte seines ehemaligen Arbeitgebers
sowie Angriffe von ehemaligen Kollegen fürchtet.

Im Interview sagt der Ex-Mitarbeiter: "Das Tagesgeschäft fand in London statt, 
aber es wurde sorgfältig von Amerikanern kontrolliert". Außerdem sei das Kapital
amerikanischer Anleger für die Geschäfte genutzt worden, beispielsweise aus 
US-Pensionsfonds. Auch die riesigen Aktienpakete, die eingesetzt wurden, seien 
von US-amerikanischen Anlegern gekommen.

Dass die amerikanische Investmentbank Merrill Lynch in großem Umfang 
steuergetriebene Aktiengeschäfte getätigt hat, die unter den Begriffen "Cum-Ex" 
und "Cum-Cum" bekannt geworden sind, geht aus internen Dokumenten der Bank sowie
aus Handelstabellen und Anzeigen von Whistleblowern bei Aufsichtsbehörden 
hervor, über die "Panorama", Zeit Online und "Die Zeit" bereits 2018 berichtet 
hatten. [https://www.tagesschau.de/wirtschaft/cum-ex-121.html / https://www.zeit
.de/2018/44/cum-ex-steuerbetrug-aktiengeschaeft-europa-finanzpolitik ]

Zeugenaussagen und Ermittlungsakten zeigen, dass Hauptbeschuldigte in den 
derzeit laufenden Cum-Ex-Prozessen in Bonn und Wiesbaden das steuergetriebene 
Aktiengeschäft bei Merrill Lynch gelernt haben. Merrill Lynch und die Bank of 
America haben auf Fragen zu den Vorgängen nicht geantwortet.

Der ehemalige Mitarbeiter sagt nun, hoch spezialisierte Fachleute bei Merrill 
Lynch hätten ständig nach Lücken im Steuersystem gesucht, nach "diesem 
mikroskopisch kleinen Defekt".. Daraus hätten sie dann Angriffspläne entwickelt,
die wie Kochbücher funktioniert hätten. "Das kann ein 15-seitiges Dokument sein,
in dem genau steht: Um 7 Uhr morgens, bevor der Markt öffnet, machen wir das. 
Dann dies. Dann jenes. Dann solches."

Mit diesen "Kochbüchern" hätten die Steuerhändler sekundengenaue
Kreisgeschäfte 
mit dem Ziel organisiert, Profit aus Steuererstattungen zu generieren. "Es geht 
dabei nicht darum, weniger Steuern zu zahlen, es geht darum, Steuern zu 
kassieren, die dir nicht zustehen", so der Ex-Mitarbeiter. Bei Cum-Ex wurde 
durch Absprachen unter den Beteiligten eine einmal abgeführte Steuer mehrfach 
per Rückerstattung kassiert. "Der Cum-Ex-Handel erfordert, dass Sie gleichzeitig
verkaufen und kaufen, vier-, fünf-, sechshundert Millionen Euro einer Aktie, Sie
müssen also sorgfältig koordinieren, dass die Person, die die Aktien von Ihnen 
kauft, sie auch durch eine andere Transaktion an Sie zurückverkauft. Das muss 
gleichzeitig geschehen, um sicherzustellen, dass es kein finanzielles Risiko bei
der Transaktion gibt." Solche Absprachen sind verboten und ein klares Indiz für 
illegale Cum-Ex-Geschäfte.

2008 waren nach einer Untersuchung des US-Senats unter Senator Carl Levin 
steuergetriebene Aktiengeschäfte in den USA unterbunden worden. Die 
Investmentbanken hätten daraufhin ihre Steuergeschäfte nach Europa verlagert, so
der Ex-Mitarbeiter von Merrill Lynch: "Sie haben sich sofort aus den USA 
zurückgezogen und einfach das Geschäft in anderen Märkten verdoppelt, vor allem

in Europa." Deutschland sei nun erst recht zum Ziel der Steuerhändler geworden, 
auch weil die Behörden trotz verschiedener Bemühungen Cum-Ex-Geschäfte nicht 
verhindert hätten. "Die Deutschen haben geglaubt, sie hätten es mit redlichen 
Organisationen mit guten Absichten zu tun." Dabei gingen die Steuerhändler 
"immer dorthin, wo sie die dicksten Geschäfte machen können."

2012 hatte der Insider eine anonyme Anzeige bei der US-amerikanischen 
Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) in Washington D.
C. gestellt und sie auf die Verbindungen nach Deutschland aufmerksam gemacht. In
der Anzeige heißt es, die Bank habe "enorme Einnahmen aus einer betrügerischen 
Form des Handels mit Steuergutschriften" erzielt, die weit über die üblichen 
Formen steuerlicher Tricks hinaus gehe. In Gesprächen zwischen deutschen und 
US-amerikanischen Steuerbehörden über Cum-Ex-Fälle im Jahr 2012 kam die Anzeige

des Insiders jedoch nicht zur Sprache. Die Anzeige des Ex-Mitarbeiters ist dem 
Bundesfinanzministerium offenbar bis heute unbekannt. Es sei "keine Zuordnung zu
einem konkreten Einzelfall möglich", teilte das Ministerium auf Nachfrage mit. 
Die SEC wollte die Anzeige auf Nachfrage nicht kommentieren.

"Panorama": Donnerstag, 23. Januar, 21.45 Uhr, Das Erste

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