Atempause, Kommentar zum Touristikkonzern Tui von Carsten Steevens
Frankfurt (ots) - In keiner Tui-Hauptversammlung seit 2013 hat man den
Optimisten Friedrich Joussen angestrengter und abgekämpfter erlebt als beim
ersten virtuellen Aktionärstreffen des Touristikkonzerns. Nahezu emotionslos und
weitgehend wortgetreu verlies der Vorstandsvorsitzende den vorgefertigten
Redetext und auch die Antworten auf rund 50 vorab eingereichte Fragen von
Aktionären und Aktionärsvertretern. Die Folgen der Corona-Pandemie und ihre
Bewältigung haben Substanz gekostet. Für die Tui ging und geht es um die
Existenz.

Für den Tourismus war 2020 ein Horrorjahr. Reisebeschränkungen haben der Branche
zugesetzt und aus der Tui über Nacht ein Unternehmen ohne Produkt und
nennenswerten Umsatz werden lassen. Der weltgrößte Touristikkonzern, der, wie
Joussen in den vergangenen Monaten immer wieder betonte, vor der Pandemie ein
kerngesundes Unternehmen war, das in das Geschäft investierte, Schulden aus der
Vergangenheit reduzierte und attraktive Dividenden zahlte, geriet zum
Stützungsfall.

Für die Bundesregierung "too big to fail", erhielt die Tui staatliche Hilfen, um
den gravierenden Mittelabflüssen zu begegnen und die Liquidität zu sichern. Das
Anfang Dezember vereinbarte dritte Finanzierungspaket über insgesamt 1,8 Mrd.
Euro hat dem Unternehmen erneut Luft verschafft. Um eine Insolvenz der Tui und
einen möglichen Totalverlust ihres Engagements zu vermeiden, hatten die
Aktionäre in der außerordentlichen Hauptversammlung am Dienstag keine andere
Wahl, als zuzustimmen. Wäre schon einer der Beschlussvorschläge nicht gefasst
worden, hätte etwa die geplante Kapitalerhöhung um rund 500 Mill. Euro, an der
sich auch der russische Großaktionär Mordaschow beteiligen will, nicht umgesetzt
werden können. Damit wiederum wäre die Rückzahlung einer im Oktober
fälligen
300-Mill.-Euro-Anleihe akut gefährdet gewesen.

Die Tui und ihre Geldgeber setzen darauf, dass Impfstoffe gegen das Coronavirus
vom kommenden Sommer an zu einer Wiederbelebung des internationalen
Reisegeschäfts und zu einer kurzfristigen Rückkehr des Unternehmens zu
profitablem Betrieb führen werden. Doch die Annahmen sind mit großen
Unsicherheiten behaftet. Wann die Tui an das Vorkrisengeschäft anknüpfen kann,
ist offen. Die im Verlauf der Krise deutlich gestiegene Verschuldung belastet
das Unternehmen, die Refinanzierungsrisiken sind weiterhin beträchtlich. Das
Geschäftsmodell mag intakt sein, eine Investition in die Tui bleibt 2021 aber
mit hohen Risiken verbunden.

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