Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Das Statistische Bundesamt (Destatis) zieht am Donnerstag einen vorläufigen Strich unter das "Corona-Jahr" 2020. Volkswirte erwarten, dass das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) kalenderbereinigt um 5,4 Prozent gesunken ist. Damit wäre der wirtschaftliche Einbruch weitaus schwächer als auf dem Höhepunkt der Krise im vergangenen Frühjahr befürchtet - und sogar weniger stark als im "Finanzkrisen"-Jahr 2009 (minus 5,6 Prozent).

Destatis veröffentlicht die Daten am Donnerstag (10.00 Uhr). Daneben stehen in der Woche vor allem US-Konjunkturdaten sowie das Protokoll der EZB-Ratssitzung vom 10. Dezember an.

Das Jahr 2020 war wegen der Vielfalt der Geschehnisse gefühlt ein unglaublich langes Jahr. Sein Beginn stand noch ganz im Zeichen der Schwierigkeiten der deutschen Automobilindustrie, mit einem neuen Abgasstandard zurechtzukommen. Hinzu kamen anhaltende Sorgen wegen des bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens und recht akute Sorgen hinsichtlich der chinesischen Konjunktur.


   Coronavirus legt 2020 erst China und dann den Rest der Welt still 

Das einschneidendste Ereignis war aber das Auftreten eines neuen Coronavirus (es waren schon vorher einige bekannt) in China, das zu einer Schließung ganzer Regionen und aller Häfen führte. Das brachte die Lieferketten in anderen Volkswirtschaften durcheinander, die sich kurze Zeit später selbst mit der von dem Virus ausgelösten Krankheit Covid-19 konfrontiert sahen. So auch Deutschland, das im März einen kompletten Lockdown verhängte, wodurch das BIP im ersten Quartal um 1,9 Prozent sank und im zweiten Quartal um 9,8 Prozent abstürzte.

Später wurden die Beschränkungen weitgehend aufgehoben, worauf ein BIP-Anstieg von 8,5 Prozent im dritten Quartal folgte. Analysten gäben einiges darum, wenn sie jetzt schon wüssten, was der im November verhängte und im Dezember verschärfte Lockdown mit dem BIP im vierten Quartal gemacht hat. Viele von ihnen hoffen wohl, dass sich die Statistiker am Donnerstag eine informelle Schätzung für das vierte Quartal entlocken lassen werden, wie sie das normalerweise tun.

Aber dieses Mal ist die Unsicherheit größer. Ein bisschen ähnelt die Situation jener des ersten Quartals. Auch damals wurde der Lockdown in der zweiten Hälfte des letzten Monats des Quartals verhängt. Allerdings waren die Maßnahmen viel strikter und sie trafen auf weitgehend unvorbereitete Menschen und Unternehmen. Gleichwohl stellt sich die Frage: Was ist im November, was ist in den letzten zwei Wochen des Jahres passiert und wie stark wirkt sich das prozentual auf die gesamte Volkswirtschaft aus?


   Verschärfter Lockdown minderte Mobilität der Menschen deutlich 

Ab November schlossen Freizeiteinrichtungen wie Fitnessstudios, Gaststätten und Kinos. Dagegen blieben der Einzelhandel, Schulen und Kitas geöffnet, was auch half, die Produktion in Gang zu halten. Ab Mitte Dezember musste wegen weiter steigender Infektionszahlen der "nicht unbedingt notwendige" Einzelhandel schließen, und manches Industrieunternehmen ging in frühere oder verlängerte Weihnachtsferien.

Diese Entwicklung schlug sich in Mobilitätdaten nieder, die zum Beispiel die Deutsche Bundesbank verwendet. Der wöchentliche Aktivitätsindikator der Bundesbank lag Ende Dezember zwar noch knapp im positiven Bereich, doch besagt das nicht viel, weil er die tatsächliche Aktivität sowohl im Auf- als auch im Abschwung stark unterzeichnet.


   Daten aus Dienstleistungssektor kommen mit großer Verzögerung 

Und während die Produktion im produzierenden Sektor im Oktober/November um 5,6 Prozent über dem Niveau des dritten Quartals lag und der auf Maut-Daten basierende Lkw-Fahrleistungsindex für Dezember eine weiter steigende Industrieproduktion anzeigt, liegen Daten für den besonders betroffenen Dienstleistungssektor erst bis Oktober vor.

Immerhin informiert Destatis am Mittwoch (8.00 Uhr) über die Entwicklung des Inlandstourismus im November und am 18. Januar kommen Daten zum Umsatz im Gastgewerbe im November. Zudem wird am 27. oder 28. Januar der Frühindikator für den Umsatz in der gewerblichen Wirtschaft veröffentlicht.

Hoffnung auf einen zumindest nicht sehr starken BIP-Rückgang im vierten Quartal macht neben der Industrie auch die Tatsache, dass sowohl Bauinvestitionen als auch Lagerveränderungen im zweiten und dritten Quartal negative Wachstumsbeiträge geliefert haben. Derartige Entwicklungen führen häufig zu einer "Gegenreaktion".

All diese Information werden in die erste Veröffentlichung des BIP für das vierte Quartal einfließen, die aber erst am 29. Januar ansteht.

Die wichtigsten übrigen Konjunkturdaten der Woche kommen aus den USA. Am Mittwoch (14.30 Uhr) die Verbraucherpreise und am Donnerstag die Einzelhandelsumsätze (14.30 Uhr) sowie die Industrieproduktion (15.15 Uhr) - alle für Dezember. Aus europäischer Sicht erwähnenswert sind die Industrieproduktion des Euroraums (Mittwoch, 11.00 Uhr) und die Sentix-Konjunkturindizes für Deutschland und den Euroraum (Montag, 10.30 Uhr).


   Was sich die EZB dabei gedacht hat - Sitzungsprotokoll vom 10. Dezember 

Am Donnerstag veröffentlicht die Europäische Zentralbank (EZB) das Protokoll der Ratssitzung vom 10. Dezember. Der EZB-Rat hatte an diesem Tag ein ganzes Bündel von Maßnahmen beschlossen, die teilweise die Markterwartungen übertrafen, teilweise aber etwas enttäuschten. So wurde das Pandemiekaufprogramm PEPP stärker als erwartet, um neun Monate, verlängert und um 500 Milliarden Euro aufgestockt. Dagegen waren die Konditionen der neuen TLTRO3-Langfristtender etwas ungünstiger als von manchem erhofft aus.

Relativ scharf fiel die verbale Intervention gegen die Stärke des Euro aus. Was sich die Ratsmitglieder bei all dem gedacht haben und wo die Konfliktlinien innerhalb des Gremiums lagen, dürfte das jetzt zu veröffentlichende Sitzungsprotokoll zeigen.

Am Freitagabend aktualisiert Fitch als erste Ratingagentur nach dem Brexit die Bonitätsnoten für Großbritannien.

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January 08, 2021 10:06 ET (15:06 GMT)