Berlin (Reuters) - Die deutsche Industrie traut der Wirtschaft in diesem Jahr trotz Unsicherheiten wegen der Corona-Pandemie wieder spürbares Wachstum zu.

Die Konjunktur dürfte um 3,5 Prozent zulegen, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Dienstag. Allerdings unterstrich der neue BDI-Chef Siegfried Russwurm: "Die wirtschaftliche Lage bleibt schwierig." Eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau sei deshalb frühestens im ersten Halbjahr 2022 in Sicht. Ein jüngst debattierter Lockdown der Industrie brächte nur Nachteile mit sich und würde die Konjunktur massiv bremsen, warnte Russwurm. Er forderte von Bund und Ländern in der Corona-Politik eine "verlässliche Strategie" und mehr Berechenbarkeit sowie eine Steuerentlastung der Unternehmen.

Im vorigen Jahr war die Wirtschaft wegen der Virus-Krise um rund fünf Prozent eingebrochen. Die genaue Zahl gibt das Statistische Bundesamt am Donnerstag bekannt. "Für die Exporte gehen wir von einer Steigerung um sechs Prozent aus", sagte Russwurm für 2021 voraus, nach einem Absturz um geschätzt elf Prozent im vergangenen Jahr. Die Industrie sei wichtig für Konjunktur und Wohlstand. "Umso wichtiger ist es, die Industrie weiter am Laufen zu halten - trotz verschärfter Lage, trotz ausgeweiteter Mobilitätseinschränkungen und großflächiger Schulschließungen." Ein Stillstand der Industrie wäre Symbolpolitik und würde nur Nachteile bringen, wie ein umfangreicher Lockdown in Italien gezeigt habe. "Ich warne auch jeden davor zu glauben, man könnte ja mal vier Wochen abschalten, das sei doch nicht so schlimm", mahnte Russwurm. Denn allein das Wiederhochfahren würde wohl auch einen Monat dauern. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat jüngst ein Herunterfahren der Wirtschaft gefordert.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sprach sich gegen einen Lockdown der gesamten Wirtschaft aus. Die Produktion in Deutschland stehe nicht still und die Bänder liefen, sagte der SPD-Politiker. "Und das soll möglichst auch so bleiben."

BDI BEGRÜSST BIDEN-WAHL -ERWARTET ABER AUCH KEIN "EASYGOING"

Der BDI-Präsident und langjährige Siemens-Manager Russmann verlangte, "dass die Politik spätestens im Februar differenzierte und kreativere Lösungen liefert statt weiterer pauschaler Schließungen". Wichtig seien "explizite Vorschläge für Lockerungen, wo immer möglich und vertretbar". Zudem müssten staatliche Hilfen einfach sein und schnell wirken. Hier gebe es offenbar noch Nachholbedarf.

Die Industrie forderte zudem einen Investitionsschub, um die die Firmen für den internationalen Konkurrenzkampf fit zu halten. Dem BDI-Chef zufolge fehlen derzeit allein Ausgaben der öffentlichen Hand von mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr. Zudem bekräftigte Russwurm gängige Forderungen der Wirtschafts-Lobby: "Es braucht weniger Belastungen, weniger Bürokratie, weniger Steuern - und bessere Infrastruktur, mehr Anreize für Innovationen und Investitionen." Konkret forderte Russwurm, die Steuerlast der Unternehmen auf 25 Prozent zu senken - "etwa durch vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags und Senkung des Körperschaftsteuer-Satzes". Derzeit liege die Steuerlast im Schnitt bei mehr als 31 Prozent des Ertrags, im EU-Schnitt nur bei 22 Prozent.

Der BDI-Chef äußerte sich zuversichtlich zur Wahl des Demokraten Joe Biden zum US-Präsidenten. Er hoffe, dass die Diskussion über den globalen Handel und Zölle nun wieder rational werde und multilaterale Lösungen einfacher seien. Russwurm warnte aber vor Euphorie: "Das wird nicht easygoing sein, denn den Slogan 'Buy American' haben die Demokraten erfunden und nicht die Republikaner."