Frankfurt/Berlin (Reuters) - Die EZB erwägt laut Insidern für die anstehende Zinswende einen kräftigen Schritt nach oben, um die ausufernde Inflation einzudämmen.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters von mit der Sache vertrauten Personen erfuhr, wird auf der Sitzung am Donnerstag neben einer Erhöhung um einen Viertelprozentpunkt auch eine mögliche Anhebung um einem halben Punkt zur Sprache kommen. Es gebe eine breite und noch offene Debatte, wie hoch der Schritt letztlich ausfallen solle. Einige Währungshüter mahnten mit Blick auf eine womöglich heraufziehende Rezession allerdings zur Vorsicht.

Die EZB wollte sich auf Anfrage nicht zu den Informationen äußern. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte eigentlich nur eine Anhebung um einen Viertelprozentpunkt in Aussicht gestellt und erst für September eine womöglich kräftigere Erhöhung. Sie hatte jedoch die Tür für eine kräftigere Zinswende offengelassen.

Zugleich zeichnet sich den Insidern zufolge eine Einigung auf ein umstrittenes EZB-Programm ab, mit dem hoch verschuldete Staaten wie Italien bei Turbulenzen am Anleihenmarkt gestützt werden könnten. Voraussetzung dafür, dass einem Land mit diesem neuen Instrument geholfen wird, soll demnach sein, dass es sich an Vorgaben der EU-Kommission mit Blick auf Reformen und Haushaltsdisziplin hält. Dabei sollen auch die Regeln des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts wieder eine Rolle spielen, wenn sie nächstes Jahr wieder greifen. Sie sind wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt.

Über die Bedingungen für ein neues Kriseninstrument wird seit Wochen in der EZB kontrovers diskutiert. Einige Währungshüter hätten laut Insidern gerne den Europäischen Rettungsfonds ESM für das Programm mit ins Boot geholt. Doch diese Option sei nun wahrscheinlich vom Tisch, hieß es.

Wie das Werkzeug genau ausgestaltet wird, ist noch unklar. Doch dürften Staatsanleihekäufe dazu gehören. Experten verweisen darauf, dass die EZB in rechtlich gefährliches Fahrwasser geraten könnte, sollte beispielsweise Italien inmitten einer akuten Regierungskrise gestützt werden. Dies wäre Wasser auf die Mühlen all jener Kritiker, besonders in Deutschland, die solche Käufe der EZB schon immer als verkappte Staatsfinanzierung angesehen haben. Gegner früherer EZB-Anleihen-Kaufprogramme waren bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen. Laut KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib ist es "fast so sicher wie das Amen in der Kirche", dass auch das geplante neue Programm früher oder später dort bestehen muss.

EURO IM AUFWIND

Der Euro stieg nach den Signalen für eine womöglich kräftigere Zinswende um ein Prozent auf 1,0245 Dollar. Die Aussicht auf einen größeren Zinsschritt setzte zugleich den Staatsanleihen im Euroraum zu. Im Gegenzug zogen die Renditen an. "Es wäre überraschend, wenn sie sich für eine Anhebung um 50 Basispunkte entscheiden würden, da die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger eine Anhebung um 25 Basispunkte signalisiert hat", sagte Nordea-Analyst Jan von Gerich. Der Ausverkauf an den Anleihemärkten deute aber darauf hin, dass Anleger kein Risiko eingehen wollten und sich nun für einen größeren Zinsschritt der EZB in Stellung brächten.

Der rasante Anstieg der Energiepreise hat die Inflation im Euroraum auf ein neues Rekordniveau getrieben und setzt die EZB damit unter Zugzwang. Die Verbraucherpreise legten im Juni um 8,6 Prozent zum Vorjahresmonat zu. Im Mai hatte die Teuerung bereits bei 8,1 Prozent und im April bei 7,4 Prozent gelegen. Die Europäische Zentralbank (EZB) verfehlt damit ihr Inflationsziel deutlich. Sie strebt zwei Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft an.

Nach mehr als einem Jahrzehnt einer ultralockeren Geldpolitik wollen die Währungshüter nun am Donnerstag erstmals wieder ihre Zinszügel straffen. Unter den führenden Notenbanken ist die EZB in puncto Zinswende ein Nachzügler. In den USA hat die Federal Reserve schon viel früher auf den anhaltenden Inflationsschub mit Zinserhöhungen reagiert. Die Fed hob im Juni ihre Leitzinsen sogar um 0,75 Prozent an, was der größte Zinsschritt seit 1994 war. Die EZB hält dagegen ihren Schlüsselsatz noch auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent, auf dem er bereits seit März 2016 liegt. Seit 2014 liegt zudem der Einlagensatz im Minusbereich, was für Banken Strafzinsen bedeutet, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Liquidität parken. Seit Herbst 2019 steht der Satz bei minus 0,5 Prozent.

(Bericht von Francesco Canepa und Balazs Koranyi, geschrieben von Reinhard Becker, Mitarbeit Dhara Ranasinghe, Stefanie Geiger, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)