Das deut­sche Fi­nanz­sys­tem bleibt ver­wund­bar ge­gen­über schlech­ten wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen. Zu­künf­ti­ge Kre­dit­ri­si­ken könn­ten un­ter­schätzt und die Wert­hal­tig­keit von Kre­dit­si­cher­hei­ten wie Im­mo­bi­li­en über­schätzt wer­den. 'Ein un­er­war­te­ter Kon­junk­tur­ein­bruch und ab­rupt stei­gen­de Ri­si­ko­prä­mi­en könn­ten das deut­sche Fi­nanz­sys­tem emp­find­lich tref­fen', er­klär­te Clau­dia Buch, Vi­ze­prä­si­den­tin der Deut­schen Bun­des­bank. Ein sta­bi­les Fi­nanz­sys­tem soll­te sol­che Schocks ab­fe­dern kön­nen und sie nicht ver­stär­ken.

Noch im ver­gan­ge­nen Jahr war ein lang­sam stei­gen­des Zins­ni­veau er­war­tet wor­den. Diese Er­war­tun­gen haben sich nicht er­füllt. Die ex­port­ori­en­tier­te In­dus­trie in Deutsch­land be­fin­det sich in einem Ab­schwung, in der Bin­nen­wirt­schaft über­wie­gen aber die Auf­triebs­kräf­te. Das Zins­ni­veau ist im Zuge der kon­junk­tu­rel­len Ein­trü­bung wei­ter ge­fal­len, und es wer­den wei­ter­hin nied­ri­ge ri­si­ko­freie Zin­sen er­war­tet. 'Ge­ra­de bei nied­ri­gen Zin­sen bauen sich zy­kli­sche Ri­si­ken im deut­schen Fi­nanz­sys­tem wei­ter auf', be­ton­te Buch. 'Die nied­ri­gen Zin­sen set­zen die Zins­mar­ge der In­sti­tu­te zu­neh­mend unter Druck, be­las­ten deren Pro­fi­ta­bi­li­tät und stel­len so auch ein Ri­si­ko für die Fi­nanz­sta­bi­li­tät dar', er­gänz­te Joa­chim Wu­er­me­ling, das für Ban­ken­auf­sicht zu­stän­di­ge Vor­stands­mit­glied der Bun­des­bank.

Un­ter­schät­zung von Ri­si­ken

Die schwa­che Kon­junk­tur zeigt sich nicht un­mit­tel­bar an den Fi­nanz­märk­ten: Ban­ken ver­ge­ben wei­ter dy­na­misch Kre­di­te, die Be­wer­tun­gen an den Märk­ten sind zum Teil hoch. Nied­ri­ge Zin­sen und die ro­bus­te Bin­nen­kon­junk­tur stüt­zen diese Ent­wick­lung. Ge­rin­ge Kre­dit­ri­si­ken spie­geln nied­ri­ge In­sol­ven­zen im Un­ter­neh­mens­sek­tor und eine ge­rin­ge Ar­beits­lo­sig­keit. Ent­spre­chend nied­rig ist die seit vie­len Jah­ren rück­läu­fi­ge Ri­si­ko­vor­sor­ge der Ban­ken. Die zu­künf­ti­ge Ent­wick­lung von Kre­dit­ri­si­ken könn­te damit aber un­ter­schätzt wer­den.

Die be­stehen­den Ver­wund­bar­kei­ten könn­ten bei einem un­er­war­te­ten Kon­junk­tur­ein­bruch of­fen­ge­legt wer­den. Ins­ge­samt hat sich die Bo­ni­tät der deut­schen Un­ter­neh­men zwar ver­bes­sert, in den Kre­dit­port­fo­li­os der deut­schen Ban­ken hat der An­teil der re­la­tiv ris­kan­te­ren Kre­dit­neh­mer aber zu­ge­nom­men. Wert­be­rich­ti­gun­gen und Kre­dit­aus­fäl­le könn­ten daher bei einem un­er­war­te­ten Kon­junk­tur­ein­bruch schnel­ler und stär­ker stei­gen als bei einer gleich­mä­ßi­gen Ver­tei­lung der Kre­dit­ri­si­ken. Diese Al­lo­ka­ti­ons­ri­si­ken sind in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ge­stie­gen und tra­gen zu den zy­kli­schen Ver­wund­bar­kei­ten im deut­schen Fi­nanz­sys­tem bei.

Die Prei­se für Wohn­im­mo­bi­li­en in Deutsch­land ent­wi­ckeln sich nach wie vor dy­na­misch. Um­fra­gen zu­fol­ge er­war­ten die pri­va­ten Haus­hal­te und Ban­ken wei­ter stei­gen­de Prei­se. 'Damit be­steht die Ge­fahr, dass Markt­teil­neh­mer die ver­gan­ge­ne Ent­wick­lung zu op­ti­mis­tisch in die Zu­kunft fort­schrei­ben und dabei die Wert­hal­tig­keit von Si­cher­hei­ten über­schät­zen', sagte Buch.

Im deut­schen Fi­nanz­sys­tem be­stehen zudem Ri­si­ken ge­gen­über ab­rupt stei­gen­den Zin­sen fort. Die Ban­ken haben die Fris­ten­trans­for­ma­ti­on aus­ge­wei­tet, um ihre Er­trä­ge im Zins­ge­schäft zu sta­bi­li­sie­ren. So hat mitt­ler­wei­le jeder zwei­te neu ver­ge­be­ne Woh­nungs­bau­kre­dit eine Zins­bin­dungs­frist von über zehn Jah­ren. 'Vor die­sem Hin­ter­grund müs­sen Ban­ken die ein­ge­gan­ge­nen Ri­si­ken ad­äquat be­prei­sen und mit aus­kömm­li­chen Mar­gen kal­ku­lie­ren', sagte Wu­er­me­ling.

An­ti­zy­kli­scher Ka­pi­tal­puf­fer

Als Re­ak­ti­on auf die zy­kli­schen Sys­tem­ri­si­ken hat der Aus­schuss für Fi­nanz­sta­bi­li­tät (AFS) der Bun­des­an­stalt für Fi­nanz­dienst­leis­tungs­auf­sicht (BaFin) im Mai 2019 emp­foh­len, den an­ti­zy­kli­schen Ka­pi­tal­puf­fer zu ak­ti­vie­ren und die­sen auf 0,25 Pro­zent der ri­si­ko­ge­wich­te­ten in­län­di­schen For­de­run­gen an­zu­he­ben. Die BaFin ist der Emp­feh­lung im drit­ten Quar­tal 2019 ge­folgt. Ban­ken haben zwölf Mo­na­te Zeit, die An­for­de­rung zu er­fül­len, und dürf­ten dazu über­wie­gend ihr Über­schuss­ka­pi­tal nut­zen.'Der an­ti­zy­kli­sche Ka­pi­tal­puf­fer stärkt die Wi­der­stands­fä­hig­keit des Fi­nanz­sys­tems und sta­bi­li­siert die Kre­dit­ver­ga­be in Stress­pha­sen', sagte Buch. Mit dem Puf­fer soll eine über­mä­ßi­ge Ein­schrän­kung der Kre­dit­ver­ga­be in Stress­pha­sen we­ni­ger wahr­schein­lich und eine mög­li­che pro­zy­kli­sche Wir­kung des Ban­ken­sys­tems auf die Re­al­wirt­schaft ver­rin­gert wer­den.

Hand­lungs­be­darf für ein sta­bi­les Fi­nanz­sys­tem

Ein funk­tio­nie­ren­des Fi­nanz­sys­tem ist die Vor­aus­set­zung dafür, dass Struk­tur­wan­del ge­lin­gen kann, ohne In­no­va­tio­nen zu be­hin­dern und die Sta­bi­li­tät zu ge­fähr­den. Zu den gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen zählt der Kli­ma­wan­del. Daher wid­met sich der dies­jäh­ri­ge Be­richt dem Ein­fluss kli­ma­be­zo­ge­ner Ri­si­ken auf die Fi­nanz­sta­bi­li­tät. Aus Sicht der ma­kro­pru­den­zi­el­len Auf­sicht ist ent­schei­dend, dass das Fi­nanz­sys­tem hin­rei­chend wi­der­stands­fä­hig ge­gen­über Un­si­cher­hei­ten und Ri­si­ken des Kli­ma­wan­dels ist und sich keine sys­te­mi­schen Ri­si­ken auf­bau­en. Er­geb­nis­se einer Son­der­um­fra­ge von BaFin und Bun­des­bank deu­ten dar­auf hin, dass die meis­ten Fi­nanz­in­sti­tu­te kli­ma­be­zo­ge­ne Ri­si­ken noch nicht in ihre Ri­si­ko­be­trach­tung in­te­griert haben. 'Ak­tu­ell plant nur ein ge­rin­ger An­teil der In­sti­tu­te, ihr Ri­si­ko­ma­nage­ment um Kli­ma­ri­si­ken zu er­wei­tern. Hier be­steht Nach­hol­be­darf', so Wu­er­me­ling.

Struk­tur­wan­del macht auch vor dem Fi­nanz­sek­tor nicht halt. Ein funk­tio­nie­ren­des Ab­wick­lungs- und Re­struk­tu­rie­rungs­re­gime für Ban­ken trägt dazu bei, dass Markt­me­cha­nis­men wir­ken kön­nen. Daher wird ge­ra­de im Rah­men einer Eva­lu­ie­rung des Financial Stability Board un­ter­sucht, wel­che Ef­fek­te die Too-big-to-fail-Re­for­men auf G20-Ebene hat­ten.

Deutsche Bundesbank veröffentlichte diesen Inhalt am 21 November 2019 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
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