Peking (Reuters) - Die Verbraucherpreise in China sinken erstmals seit Jahren und nähren die Sorge vor einer konjunkturellen Abwärtsspirale.

Die Verbraucherpreise sanken im Juli im Jahresvergleich um 0,3 Prozent, wie das Nationale Statistikamt (NBS) am Mittwoch mitteilte. Es war der erste Rückgang der Jahresteuerungsrate seit Februar 2021. Mit den Erzeugerpreisen geht es bereits zehn Monate bergab - sie sanken um 4,4 Prozent. Der Rückgang des allgemeinen Preisniveaus - im Fachjargon als Deflation bekannt - lässt die Alarmglocken in der Volksrepublik schrillen.

"Die Anzeichen für eine Abschwächung der Konjunktur in China sind seit Monaten zu erkennen", sagte Michael Hewson, Chefanalyst vom Broker CMC Markets. Die Daten verstärkten laut dem Experten die Befürchtung, dass die chinesische Regierung trotz aller Versprechungen weiterer Konjunkturmaßnahmen an Grenzen stoßen könnte, wenn es darum gehe, die Binnennachfrage anzukurbeln.

Chinas einst auf Hochtouren laufender Konjunkturmotor scheine langfristige Folgen aus der Corona-Pandemie nicht abschütteln zu können, meint Jochen Stanzl, Chefanalyst beim Broker CMC Markets: "Die Wirtschaft der Volksrepublik hat Long Covid. Die Rufe nach mehr Stimulus werden immer lauter." 

KONJUNKTURMOTOR LÄUFT NICHT RUND Die Sorge ist, dass China dem Weg Japans folgen könnte. Das Fernost-Land steckte lange Zeit in einer Deflationsspirale, die die Wirtschaft am Boden hielt. Verbraucher hielten sich in Erwartung immer weiter sinkender Preise mit Käufen zurück, was Umsatz, Gewinn und Investitionen der Unternehmen drückte. Dieses Szenario wäre noch vor einigen Jahren für die rasant wachsende chinesische Wirtschaft weit hergeholt gewesen.

Die konjunkturelle Erholung im Reich der Mitte ist nach einem guten Start ins Jahr aufgrund der schwachen Weltkonjunktur und der nachlassenden Binnennachfrage aber ins Stocken geraten. Der Exportmotor stottert, was Sorgen mit Blick auf Konjunkturentwicklung verstärkt. Der angeschlagene Immobiliensektor, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und der schwächelnde Konsum lasten auf der Wirtschaft. Die kommunistische Führung hat konjunkturelle Unterstützung zugesichert und spricht von einer "schwierigen" Erholung von der Pandemie. Sie setzt auf eine "umsichtige" Geldpolitik und eine stabile Währung. Chinas Zentralbank hält zum Ankurbeln der Wirtschaft eine Reihe von Instrumenten parat, die auch auf die Vergabe von Krediten durch Banken abzielen.

China hat sich für dieses Jahr ein Inflationsziel von rund drei Prozent gesetzt. Vize-Zentralbankchef Liu Guoqiang sieht für die zweite Jahreshälfte keine Deflationsgefahr heraufziehen. Er wies jedoch jüngst darauf hin, dass die Wirtschaft nach der Pandemie Zeit brauche, um zur Normalität zurückzukehren.

Der Rückgang der Verbraucherpreise in China im Juli war hauptsächlich auf die deutliche Verbilligung von Schweinefleisch zurückzuführen, die aus einer Kombination aus schwachem Konsum und gleichzeitig reichlichem Angebot resultiert. Einige Analysten warnen auch vor diesem Hintergrund, vorschnell Parallelen zur Deflation in Japan zu ziehen. Xia Chun, Chefökonom bei Yintech Investment Holdings in Hongkong, geht davon aus, dass die Phase sinkender Preise in China sechs bis zwölf Monate andauern wird. Dies sei aber nicht mit der jahrzehntelangen Deflationszeit in Japan zu vergleichen.

Die kommunistische Führung ist zudem bestrebt, den Konsum anzukurbeln. In den vergangenen Wochen wurden Maßnahmen angekündigt, um den Verkauf von Autos und Haushaltsgeräten anzuschieben. Einige Städte haben zudem Beschränkungen im Immobiliensektor gelockert.

(Bericht von Liangping Gao, Ella Cao und Ryan Woo, geschrieben von Reinhard Becker, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)