KARLSRUHE (AFP)--Der Solidaritätszuschlag beschäftigt zu Jahresbeginn nicht nur die Politik in Berlin, sondern auch die Justiz. Der Bundesfinanzhof (BFH) in München verhandelt am Dienstag in einem Musterverfahren darüber, ob die Erhebung des sogenannten Solis seit dem Jahr 2020 noch verfassungsgemäß ist. Vor Gericht zog ein Ehepaar aus Bayern. (Az. IX R 15/20)

Das Finanzamt setzte für sie als Einkommensteuervorauszahlung für das Steuerjahr 2020 einen Solidaritätszuschlag in Höhe von ungefähr 2.000 Euro fest. Das Ehepaar beantragte, diese Zahlung auf null Euro zu senken. Es gab an, dass der Solidaritätszuschlag eine Ergänzungsabgabe sei und nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe.

Beim Finanzamt hatte es damit keinen Erfolg. Auch das Finanzgericht Nürnberg wies die Klage ab, soweit sie sich auf das Steuerjahr 2020 bezog. Nur für 2021 senkte es den Vorauszahlungsbescheid deutlich. Seitdem gilt nämlich eine neue gesetzliche Regelung, wonach nur noch Gutverdiener den Soli zahlen.

Der erste Solidaritätszuschlag wurde 1991 eingeführt und lief Mitte 1992 aus. Er diente vor allem der finanziellen Bewältigung der Wiedervereinigung. Sein Nachfolger wird seit 1995 erhoben, er betrug zunächst 7,5 und danach 5,5 Prozent der zu zahlenden Einkommensteuer. Dabei gab es aber eine Freigrenze, die im Jahr 2019 für zusammen veranlagte Ehepaare bei 28.569 Euro lag. Oberhalb dieser Grenze wurde der Solidaritätszuschlag schrittweise bis auf 5,5 Prozent angehoben.

Ab dem Jahr 2021 wurde die Grenze deutlich nach oben verschoben, so dass inzwischen 90 Prozent der Steuerpflichtigen keinen Solidaritätszuschlag mehr zahlen. Die Freigrenze liegt bei mehr als 125.000 Euro zu versteuerndem Einkommen für Verheiratete.

Der sogenannte Solidarpakt II, mit dem die ostdeutschen Länder unterstützt wurden, lief allerdings schon 2019 aus. Damit argumentierte das Ehepaar: Der Solidaritätszuschlag habe 2020 seine Berechtigung verloren, er verstoße gegen das Grundgesetz. Auch die ab 2021 geltende Regelung halten die beiden für verfassungswidrig, sie verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Sie zogen gegen die Entscheidung des Finanzgerichts vor den BFH.

Dieser muss darüber beraten, ob er das Solidaritätszuschlagsgesetz von 1995 nunmehr ebenfalls für verfassungswidrig hält. In dem Fall müsste er die Frage dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen. Wie der BFH mitteilte, geht es in dem Verfahren um ein Steueraufkommen von insgesamt etwa 11 Milliarden Euro pro Jahr.

Das Bundesfinanzministerium trat dem Verfahren zunächst als Nebenbeteiligter bei, zog den Beitritt aber wieder zurück. Der BFH bestätigte einen Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass ein entsprechendes Schreiben am Mittwoch eingegangen sei.

Laut der Zeitung soll Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dies persönlich entschieden und damit eine Entscheidung seines Vorgängers, des heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), korrigiert haben. Damit wird kein Vertreter des Ministeriums an der Verhandlung teilnehmen.

Eine Entscheidung soll am Dienstag in München noch nicht fallen. Sie wird voraussichtlich Ende Januar verkündet.

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January 13, 2023 02:38 ET (07:38 GMT)