Laientheater für die Galerie / Kommentar zur Einstellung des
EU-Verfahrens gegen Berlin von Detlef Fechtner.
Frankfurt/Main (ots) - Der Grat zwischen Politik und Posse ist bekanntermaßen
sehr schmal. In Brüssel wurde er jetzt wieder überschritten. Der Reihe nach:
2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das Anleihekaufprogramm PSPP der
Europäischen Zentralbank (EZB) als nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet
- ein durchaus fragwürdiges Urteil. Zugleich wagte Karlsruhe den Angriff auf den
Europäischen Gerichtshof und warf ihm Entscheidungen jenseits seiner Kompetenzen
("ultra vires") vor.

Es gibt gute Argumente, das Bundesverfassungsgericht dafür zu kritisieren, dass
es ohne Rücksicht auf die Folgen wild um sich schlägt. Jede politische
Erklärung, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts missbilligt hätte,
wäre
insofern nachvollziehbar gewesen. Ganz und gar nicht akzeptabel ist indes, dass
der EU-Kommission nichts Klügeres einfiel, als ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen Deutschland - also gegen die Bundesregierung - zu starten. Solche
Verfahren mögen als Druckmittel taugen, wenn es um EU-Richtlinien für
Tiergesundheit geht. Für eine politische Kraftprobe über ein fundamentales Thema
der europäischen Integration - das Verhältnis von nationalem und europäischem
Recht - sind sie völlig ungeeignet. Zumal, weil sie sich stets gegen die
Regierung richten, auch wenn sie eigentlich auf ein Gericht zielen. "Auf den
Sack schlagt man, den Esel meint man", heißt es bei Schiller.

Den dramatischen Höhepunkt hat dieses Laientheater gestern erreicht. Versteckt
im hinteren Teil einer Bekanntmachung erklärte die EU-Kommission das Verfahren
für beendet. Deutschland habe "weitreichende Zusagen" gemacht. Das ist Unfug.

Die Bundesregierung hat nur bestätigt, was unzweifelhaft ist: die Grundsätze des
Vorrangs der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts anzuerkennen. Das ist eine
Selbstverständlichkeit und keine Zusage, schon gar keine weitreichende. Zudem
verpflichtet sich Berlin zu vermeiden, dass das Gericht noch einmal ein "Ultra
vires"-Urteil fällt - indem die Regierung "alle ihr zur Verfügung stehenden
Mittel" nutzt. Eine solche Verpflichtung einzugehen fällt nicht schwer, wenn
einem ohnehin kaum Mittel zur Verfügung stehen, das oberste Gericht von etwas
abzuhalten - und das ist erfreulicherweise in gewaltenteiligen Staaten wie
Deutschland der Fall.

Kurzum: Die EU-Kommission hat - vor allem für die Galerie in Polen und Ungarn -
viel Theaterdonner inszeniert. Und nun still und leise den Vorhang fallen
lassen, in der Hoffnung, dass niemand merkt, welche Schmierenkomödie da
aufgeführt wurde.

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