FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Portfoliomanager Schlienkamp kritisiert, wie nachhaltiges Investieren in der Praxis gelebt wird und hat eine zehn-Punkte-Wunschliste.

10. März 2023. FRANKFURT (GS&P). Nachhaltigkeit ist nicht nur in der Kapitalanlage ein klarer Trend. Doch was gut gemeint ist, entwickelt sich in der Praxis für Emittenten und Investoren zunehmend schwierig. Auch wenn die Verwendung bestehender ESG-Ratings aktuell vielleicht die beste Lösung ist, so bleibt das Thema bestehen: Die Ratings alleine der drei großen Ratinganbieter weichen voneinander ab. Eine Gesellschaft kann bei Morningstar nachhaltig sein, bei ISS vielleicht auch noch, aber bei MSCI dann auf einmal nicht mehr oder umgekehrt. Und was ich als Investor überhaupt nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass Liquidität als nicht-nachhaltig eingestuft wird. Das macht meines Erachtens ökonomisch überhaupt keinen Sinn. Liquidität muss bei der Berechnung von Nachhaltigkeitsquoten eliminiert werden, ohne Wenn und Aber.

Wir managen bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft seit nunmehr drei Jahren einen nachhaltigen Fonds für die UmweltBank: keine Waffen, keine Munition, kein Atom, kein Gas etc. und nur positive Beiträge der Unternehmen zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Ist nur eins der 17 SDGs negativ, dann kommt der Emittent nicht ins Anlageuniversum.

Darüber hinaus führen wir umfangreiche "Do Not Significant Harm” Tests (DNSH-Test) durch. Hier wird über ein Screening sichergestellt, dass die nachhaltigen Investitionen nicht durch andere ökologische oder soziale Ziele gemäß der EU-Taxonomie oder den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen erheblich beeinträchtigt werden.

Und last but not least erfolgt die Einhaltung der "Minimum Safeguards". Der Artikel 18 als Teil der Taxonomie-Verordnung wurde eingeführt, um zu verhindern, dass Investitionen als "nachhaltig" bezeichnet und angesehen werden, wenn sie negative Auswirkungen auf die Menschen- oder Arbeitnehmerrechte haben oder mit korrupten Praktiken, der Nichteinhaltung von Steuergesetzen oder wettbewerbswidrigen Praktiken verbunden sind. Alles in allem eine komplexe Materie. Wir alle haben in den letzten drei Jahren Daten gewälzt, recherchiert, verplausibilisiert, um wirklich nachhaltige Investments für die Kunden zu managen.

Zusammenfassend muss man heute festhalten, dass wir trotz des Siegeszuges der ESG-Investments nicht sehr zufrieden sind, wie sich Branche und Umfeld seit 2020 entwickelt haben. Unsere gemeinsamen Erkenntnisse und Erfahrungen haben wir in einer zehn Punkte umfassenden Wunschliste für den ESG-Bereich zusammengestellt:

Wir wünschen uns ein Grundverständnis von Nachhaltigkeit, an das sich alle Anbieter von Nachhaltigkeitsratings halten. Aktuell können Unternehmen bei einer Rating-Gesellschaft sehr nachhaltig abschneiden und bei einer anderen nicht mal die Grundvoraussetzungen erfüllen. So kann man sich immer das Rating aussuchen, das einem gerade am besten passt.

Wir brauchen eine klare, verständliche und verlässliche Richtungsvorgabe aus der Politik. Derzeit werden Bürger, Produktanbieter und Anleger mit Vorschriften und Gesetzen überfrachtet.

Klare und vor allem für den Anleger auch verständliche Regeln sollten definieren, wann man als Anbieter die Begriffe ESG / nachhaltig / grün / SRI / etc. benutzen darf und was dies für die Anlagen eines Fonds bedeutet. Sinnvoll wäre z.B. eine Kennzeichnungspflicht, eine Art Lebensmittel-Ampel, bei Fonds.

Für die gescheiterte EU-Taxonomie wünschen wir uns einen "ernsthaften" Neuanfang. Dabei darf es aus unserer Sicht keine Toleranzgrenzen mehr bei fossilen Energien und Atomenergie und auch keinerlei Diskussion über die inzwischen schon fast wieder hoffähige Rüstung geben.

Die Vorschriften zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen in der Anlageberatung haben in der Praxis oftmals keinen Erfolg. Auch hier wird ein "Reboot" hinsichtlich der Vorschriften und Regelungen benötigt. Weniger Fachbegriffe, weniger komplexe Fragen, mehr Vereinfachung. Die Komplexität führt dazu, dass die Beratung davon abrät, eine Präferenz anzugeben. Damit erreicht die Abfragepflicht eigentlich genau das Gegenteil von dem, für das sie eingeführt wurde.

Alle Unternehmen sollten Nachhaltigkeit als Chance erkennen, denn es geht ja auch um ökonomische Nachhaltigkeit. ESG-Daten zu erheben und zu veröffentlichen kann Kapitalkosten senken und Investoren anlocken.

Bei den Bewertungen der Ratingagenturen wünschen wir uns verlässlichere Daten, die auch nachvollziehbar erhoben werden und immer mit gesundem Menschenverstand hinterfragt werden dürfen.

Eine Diskriminierung kleinerer Unternehmen nur aufgrund eines nicht vorhandenen Ratings muss verhindert werden. Das Ratingangebot der Agenturen muss ausgeweitet werden, Datenabfragen sollten weniger umfangreich sein.

Eine hohe Liquidität im Fonds sollte sich nicht negativ auf die Bewertung der Nachhaltigkeitsquote des Portfolios auswirken.

Die Kosten für Fonds und Anleger, die aufgrund der hohen Bürokratie und ausufernden Regulatorik im Zusammenhang mit den Vorgaben bei der Nachhaltigkeitsbewertung entstehen, müssen im Rahmen bleiben.

Der Aufwand der vergangenen drei Jahre hat sich trotzdem gelohnt. Die Hoffnung ist aber ganz klar, in drei Jahren auf die Wunschliste zu blicken und alle Punkte als erledigt abzuhaken. Ich glaube, das ist ein Traum, aber wir werden sehen.

von Christoph Schlienkamp, 10. März 2023, © GS&P

Christoph Schlienkamp ist Portfoliomanager bei der GS&P Kapitalanlagegesellschaft S.A. und geschäftsführender Vorstand der DVFA (Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V.) und dort auch Vorsitzender der Kommission Unternehmensanalyse.

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