FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 6. März 2023. FRANKFURT (pfp Adisory). Es ist neben dem Krieg in der Ukraine und der Energieversorgung das Dauerthema auf dem Parkett: die steil angezogene Inflation und die damit einhergehende Zinswende. Während die Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks kräftig wie seit Jahrzehnten an der Zinsschraube drehen und damit Wirkung auf Wirtschaft, Anleihepreise und indirekt auch auf die Aktienmärkte entfachen, versuchen Anleger in gewohnter Manier, schon die Entwicklungen der nahen Zukunft abzuschätzen und sich entsprechend zu positionieren. Entsprechend schießen die Kurse oft nach oben, wenn sich eine Abschwächung der Geldentwertung abzeichnet, erst am Freitag wieder nach "taubenhaften" Tönen aus dem Fed-Umfeld bzw. kommt es zu Konsolidierungen, wenn wie in der Vorwoche in Europa doch noch recht starke Geldentwertungen berichtet werden.

Die Gemengelage ist in der Tat eher grau-schattiert als schwarz oder weiß. Zum einen sind etwa viele frühzyklische Preise, etwa von Industriemetallen, schon wieder deutlich gefallen in den Preisen. Auch bei den Energiekosten gab es im Spätsommer 2022 ganz andere Szenarien. Über die Verantwortung des steilen Zinsanstiegs für die nun erfolgte Abschwächung kann man sicher diskutieren. Das alles darf aber nicht ausklammern, dass das Thema Inflation noch nicht abzuhaken ist. Da beispielsweise im Energiebereich vieles im Jahr 2022 noch über langlaufende Alt-Verträge abgefedert wurde, sickert die Veränderung oft erst jetzt durch.

Auch stehen noch etliche Sekundäreffekte aus. Der simple Blick auf die aktuellen Lohnforderungen zeigt, dass da sicher noch einiges an Kostensteigerungen auf die Preise überwälzt werden muss. Immerhin: Während bei Gesprächen mit Unternehmen vor 12 bis 18 Monaten Inflation praktisch immer ein großes Thema war, ist die Lage nach meiner persönlichen Wahrnehmung nun schon wieder eher gemischt, zumal Lieferkettenprobleme abebben.

Wie stark der Einfluss der robust vorgehenden Notenbanken wirklich ist, das ist für mich die nächste Unbekannte auf dem Spielfeld. Dass die Baukonjunktur trotz eines unverändert sehr hohen Wohnungsbedarfs in nahezu epischem Tempo eingebrochen ist, das können die Notenbanker mutmaßlich für sich verbuchen, ob als "Erfolg", lasse zumindest ich mal offen. Andere strukturelle Preistreiber werden durch die hohen Zinsen schlicht wenig tangiert, beispielsweise das breite Feld der "Greenflation". Wenn es politischer Wille ist, Produkte etwa durch CO2-Zertifikate zu verteuern, um vom Kauf abzuschrecken, dann ändern hohe Zinsen hier ausgesprochen wenig daran. Ähnliches gilt für Verknappungen einzelner Produkte, gleich ob durch hohe Nachfrage oder geringes Angebot bedingt.

Auch der Arbeitsmarkt wird möglicherweise nicht so reagieren, wie es der eine oder andere Volkswirt in den Notenbanken in seinen Studienzeiten gelernt hat. Wir haben nun einmal einen Strukturbruch mit der beginnenden Verrentung der Babyboomer und dem einhergehenden Arbeitskräftemangel. Der strukturelle Arbeitskräftemangel, der uns sicher noch über Jahre erhalten bleibt, sorgte wohl ironischerweise für eine Bremse in den Konjunkturängsten im vergangenen Sommer: Obwohl ein energiebedingter Absturz der Wirtschaftsleistung befürchtet wurde, kam es, anders als früher, nicht zu vielen Entlassungen, da die Unternehmen wissen, dass sich dies spätestens im Aufschwung rächt.

Ich finde ein Szenario mit anhaltend höheren Inflationsraten, als wir sie sehr lange gesehen haben, zumindest nicht abwegig. Dass die Energiepreise strukturell höher bleiben werden, dürfte recht wahrscheinlich sein. Und die hohe Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer aus den genannten Gründen ist in diesem Kontext auch nicht zu unterschätzen. Es hätte bei all den Nachteilen, die Inflation mit sich bringt, ja auch Vorteile. Eine erhöhte Geldentwertung ist mutmaßlich die einzige Chance, dass sich die Staaten ihrer riesigen Schuldenberge entledigen. Dass dies alternativ über Haushaltsüberschüsse möglich wäre, halte ich für politisch nicht durchsetzbar.

Interessant wird, wie die Notenbanken agieren. Wenn diese fast schon mechanisch auf jede Inflationszuckung, auch die von den genannten Faktoren ausgelösten, die nicht von der Geldmenge determiniert sind, mit einem robusten Drehen an der Zinsschraube reagieren, wäre dies ein heißer Ritt, der zu einer Vollbremsung führt. Mein persönlicher Eindruck ist indes ein anderer: Ich halte ein Szenario von anhaltenden erhöhten Inflationsraten von mehreren Prozent p.a. zumindest für denkbar. Einhergehend mit einem robusten Wirtschaftswachstum ist dies für die Finanzmärkte mit ihren nominal berechneten Indizes nun auch kein Horrorszenario.

von Roger Peeters, 6. März 2023, © pfp Advisory

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)