Die Deutsche Bank sieht bis Ende kommenden Jahr für den DAX nur moderates Aufwärtspotenzial. Selten zuvor habe es so viele Risikofaktoren an den Märkten wie in den vergangenen Monaten gegeben. "Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich vermutlich weiter abschwächen - nach gut 3 Prozent in diesem Jahr auf etwas mehr als 2 Prozent im Jahr 2023", sagte Marc Schattenberg, Volkswirt bei Deutsche Bank Research, im Rahmen des Kapitalmarktausblicks 2023. Das Kreditinstitut rechnet mit einer moderaten Rezession in den USA und der Eurozone. Weil das Risiko einer Gasrationierung deutlich gesunken sei, dürfte der Konjunktureinbruch aber weniger stark ausfallen als noch wenigen Monaten erwartet.

Obwohl die Inflation nur allmählich sinke, erwartet die Deutschen Bank, dass die Leitzinserhöhungen der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank (EZB) im nächsten Jahr enden werden. Die straffere Geldpolitik der Notenbanken zeige langsam Wirkung. "In den USA könnte die Inflation ihren Höhepunkt bereits erreicht haben. Sie dürfte nun langsam sinken und im Laufe des nächsten Jahres unter 6 Prozent fallen", so Schattenberg. In Europa dürfte die Inflation ab dem Frühjahr 2023 allmählich nachlassen und im kommenden Jahr für Deutschland und die Eurozone bei 7,5 Prozent liegen. Sie dürfte jedoch aufgrund nachlassender Globalisierungsgewinne, demografischer Belastungen und einer strukturell expansiveren Fiskalpolitik nicht auf ihr Vorkrisenniveau sinken.


 Wenig spektakuläre Aktienmarktprognosen 

Die Deutsche Bank erwartet mittlere einstellige Renditen an den Aktienmärkten. Die Prognose für den DAX liegt bei 15.000 (aktuell: 14.399) Punkten zum Jahresende 2023. Den S&P-500 sehen die Experten bei 4.100 (3.950) und den Stoxx-600 bei 445 (435) Punkten.

Obwohl das kommende Jahr wirtschaftlich etwas schwieriger werden könnte, spreche für Aktien, dass die Börse der Konjunktur vorauslaufe. Daher dürfte bereits eine leichte Rezession eingepreist sein. "Sobald sich eine wirtschaftliche Erholung abzeichnet, sollten die Kurse steigen", erwartet Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. Rücksetzer könnten gute Einstiegschancen bieten.

Vor allem die zurzeit niedrigen Bewertungen sprächen für Aktien. In den vergangenen Monaten habe man eine deutliche Anpassung der Bewertungen gesehen. Die Unternehmensgewinne seien in diesem Jahr teilweise deutlich gestiegen, die Aktienkurse jedoch stark gefallen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den S&P-500 sei von 22,7 auf aktuell 16,5 und für den Stoxx-Europe-600 von 17,7 auf 11,3 gefallen. "Vor allem europäische Aktien sind wieder günstig", erklärt der Chefanlagestratege. Für eine Übergewichtung Europas spreche neben den niedrigen Bewertungen auch die Entwicklung der Gewinne. Sie hätten in diesem Jahr immer wieder nach oben revidiert werden müssen. Die Kurse spiegelten das jedoch nicht wider.

Profitieren dürften europäische Titel auch von der Erholung in China, wo 2023 ein stärkeres Wachstum erwartet werde. Allerdings berge die hohe Exportabhängigkeit europäischer Unternehmen auch ein Risiko, denn der Wettlauf um die technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China könne für sie zu einer Belastung werden.

Chancen sieht Stephan nach dem Ausverkauf der vergangenen Monate in Asien - in China, Korea und Taiwan seien die Bewertungsrückschläge hoch. Indiens Aktienmarkt habe sich vergleichsweise gut gehalten. Das KGV sei mit 20 noch immer hoch. Allerdings sei Indien auch die am stärksten wachsende Volkswirtschaft der Welt.

Die Deutschen Bank geht davon aus, dass viele der börsennotierten Unternehmen gut durch die konjunkturell schwierigere Phase kommen werden. Die Gewinne sollten sich deutlich solider entwickeln als in früheren Rezessionen, glaubt Stephan. In Europa dürften fiskalpolitische Programme den Konsum voraussichtlich stützen. Einige Sektoren, in denen die Gewinne in wirtschaftlich schwachen Phasen üblicherweise stark einbrächen, dürften gut durch die Rezession kommen. Banken, zum Beispiel, profitierten vom veränderten Zinsumfeld. Die Energie- und die Grundstoffbranche sowie der Bergbau, die bislang in Rezessionen Einbußen erlitten hätten, dürften aufgrund der hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie der starken Nachfrage ebenfalls gut durch den Abschwung kommen.


   Große Anpassung am Rentenmarkt haben Anleger hinter sich 

Derweil seien mit der Zinswende die Anleihekurse in diesem Jahr stark gefallen und die Renditen entsprechend gestiegen. Auch im kommenden Jahr werden die Renditen wohl noch steigen, wie die Strategen erwarten. Die Renditeunterschiede (Spreads) sollten jedoch sinken - eine mäßige Rezession vorausgesetzt. Die große Anpassung am Rentenmarkt hätten die Anleger hinter sich, zunehmend werden laut Stephan Zinskupons wieder interessant.

Die größte Gefahr für den Rentenmarkt sei, dass die erwarteten Zinserhöhungen in den USA und in Europa nicht ausreichten. Dann könnte ein erneuter Ausverkauf am Rentenmarkt drohen. Die Deutsche Bank erwartet, dass die US-Notenbank die Leizinsen auf 5 Prozent erhöht und die EZB bis auf 3 Prozent.

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November 22, 2022 07:52 ET (12:52 GMT)