Bern (awp) - Die Aktien des Baselbieter Spezialitätenchemieherstellers Clariant sind am Donnerstag mit deutlich tieferen Notierungen in den Handel gestartet. Am Morgen wurde überraschend bekannt, dass sich die oppositionelle Aktionärsgruppe White Tale von ihrem 24,99%-Paket getrennt und dieses für eine nicht genannte Summe an den saudischen Chemie- und Metallkonzern Saudi Sabic verkauft hat. Die Aussichten auf eine Vollübernahme der Clariant-Gruppe scheinen sich vorerst zumindest in Luft aufzulösen. An der Börse werden Gewinne mitgenommen.

Bis um 09.50 Uhr büssen Clariant an der Schweizer Börse deutliche 5,8% auf 26,73 CHF ein, während der Gesamtmarkt (SPI) um 0,1% tiefer gestellt wird. Die Clariant-Aktien hatten im vergangenen Jahr, insbesondere dank Übernahmefantasien, einen Lauf. Die Papiere kosteten im vergangenen März noch weniger als 20 CHF und schlossen das Börsenjahr 2017 mit einem Plus von über 60% ab.

In Analystenkreisen sorgt der Ausstieg von White Tale genauso für überraschte Gesichter wie der Einstieg von Saudi Sabic. Von einer völlig neuen Situation für Clariant ist folglich die Rede. Die Saudis sind offenbar nicht an einer Vollübernahme von Clariant interessiert, sondern sehen das Engagement Insidern zufolge vielmehr als strategisches Investment und sich selber als Ankeraktionär.

Mit diesem Wechsel im Aktionariat würden die mit White Tale aufgebauten Übernahmefantasien an der Börse vorerst einmal in den Hintergrund rücken, werden die Kurseinbussen im Handel kommentiert. Aus strategischer Sicht bewerten dagegen einige Analysten die neue Ausgangslage für Clariant auch als vielversprechend, obwohl es bezüglich der künftigen Pläne der Saudis noch einige offene Fragen gibt.

Sabic sei eines der weltgrössten Chemieunternehmen der Welt und bezeichne den Kauf des Clariant-Pakets als Teil ihrer langfristig ausgerichteten Strategie, ein breit abgestütztes Portfolio von Spezialitätenchemieaktivitäten aufzubauen, heisst es etwa bei der ZKB. Mit dem Einstieg dürften sich für Clariant vielfältige Möglichkeiten ergeben, ist Analyst Philipp Gamper überzeugt. Clariant könnte etwa auf der Beschaffungsseite beim Einkauf von Rohstoffen und Zwischenprodukten, aber auch auf der Absatzseite von Sabic profitieren.

Die Investition stehe im Einklang mit der von Sabic eingeschlagenen Diversifiktations- und Wachstumsstrategie, um ein Weltmarktführer im Bereich Chemikalien zu werden, heisst es auch bei Morgan Stanley. Die beiden Unternehmen hätten ein sich ergänzendes Spezialchemiegeschäft und in den kommenden Wochen soll nach Wegen gesucht werden, um dank der Partnerschaft Werte zu schaffen. Bezüglich dem künftigem Synergiepotenzial gebe es auf Anlegerseite aber noch einige offene Fragen, so der Kommentar.

Trotz der Absage von Sabic an eine Vollübernahme von Clariant könne dies in den nächsten Jahren nicht ausgeschlossen werden, meint ein Brancheninsider. Auch laut Markus Mayer von Baader-Helvea erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Verkaufs von Clariant nach dem Einstieg des saudischen Chemiekonzerns. Den Verkaufspreis veranschlagt der Analyst dabei auf 35 bis 40 CHF je Clariant-Aktie. Der Preis sei abhängig davon, ob das Unternehmen als Ganzes übernommen oder aufgespaltet werde, heisst es.

In Anbetracht der milliardenschweren Barmittel schliessen auch Händler nicht aus, dass Saudi Sabic den übrigen Aktionären ein Angebot unterbreiten könnte. Es könne aber auch sein, dass der neue Ankeraktionär Ruhe in die Sache bringe und es bei der jetzigen Situation im Aktionariat bleibe, so heisst es weiter.

mk/ra