Sankt Petersburg/Berlin (Reuters) - Russlands Präsident Wladimir Putin hat vor einem Einsatz deutscher Raketen im Ukraine-Krieg gegen Ziele in seinem Land gewarnt.

"Als deutsche Panzer zum ersten Mal auf ukrainischem Boden auftauchten, löste das in Russland bereits einen moralisch-ethischen Schock aus", sagte Putin am Mittwoch vor ausländischen Journalisten in Sankt Petersburg. Wenn nun gesagt werde, dass Raketen aus Deutschland Ziele auf russischem Boden treffen würden, "dann zerstört das natürlich letztlich die deutsch-russischen Beziehungen". In der Bundesregierung ist umstritten, ob die Ukraine deutsche Marschflugkörper des Typs Taurus erhalten soll. Damit wären Angriffe auf Moskau möglich.

Putin sprach im neu gebauten Hauptsitz des Energiekonzerns Gazprom zu ausländischen Medienvertretern, darunter auch von der Nachrichtenagentur Reuters. Es war der erste derartige Termin seit 2019. Im Jahr 2021 hatte der Präsident ein ähnliches Treffen online abgehalten.

"HABEN SIE VÖLLIG DEN VERSTAND VERLOREN?"

Putin ging im weiteren Verlauf des Gesprächs erneut auf die Frage von Waffen mit größerer Reichweite ein. Sollten westliche Staaten es der Ukraine erlauben, mit ihren derartigen Waffen Ziele in Russland anzugreifen, werde seine Regierung erwägen, direkt auf die gleiche Art zu reagieren, sagte er.

Ein Sprecher der Bundesregierung sagte auf Anfrage zu den Worten Putins: "Wir haben die Äußerungen zur Kenntnis genommen."

Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt die Lieferung von Taurus-Raketen ab. Gerade wegen deren Reichweite müsste Deutschland bei einer Lieferung unbedingt die Kontrolle über die Zieleinstellung haben, hat er erklärt. Dann wäre man aber direkt am Krieg beteiligt, was die Bundesregierung ausschließt. Andere deutsche Politiker wie der neue Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Verteidigung, Marcus Faber, befürworten eine Lieferung der Taurus-Raketen dagegen.

Putin ging im Gespräch mit den Journalisten auch auf zahlreiche andere Themen ein. Er wies die Vorstellung zurück, Russland könne die Nato angreifen wollen. "Haben Sie völlig den Verstand verloren?", sagte er. "Wer hat sich das ausgedacht? Das ist Blödsinn, wissen Sie? Das ist absoluter Blödsinn." Putin wies auch die Darstellung zurück, er habe mit "einer Art Atomkeule" gedroht. "Aber habe ich die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen aufgebracht? Das haben Sie getan." Der Westen glaube aus irgendeinem Grund, dass Russland niemals Kernwaffen einsetzen werde, sagte Putin jedoch weiter. Er verwies auf die russische Atomdoktrin: "Wenn jemand unsere Souveränität und territoriale Integrität bedroht, ist es möglich, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen."

PUTIN: UKRAINE-KRIEG BEGANN MIT EINEM STAATSSTREICH

Zu dem Krieg in der Ukraine sagte Putin, die USA stünden hinter einem Staatsstreich, der den Krieg dort ausgelöst habe. Niemand im Westen wolle wahrhaben, dass der Konflikt auf diesen Staatsstreich zurückgehe. Zwar habe Russland versucht, die Krise friedlich zu lösen. Allerdings seien acht Jahre lang russische Bürger im Osten der Ukraine ermordet worden. Russland habe nicht angegriffen, sondern sich verteidigt.

Die Ukraine hatte 2013 unter dem prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch Gespräche mit der EU ausgesetzt und sich für die Wiederbelebung von Wirtschaftsbeziehungen mit Russland entschieden. Es folgten monatelange Massenproteste, die in Gewalt umschlugen. Das Parlament in Kiew erklärte Janukowitsch 2014 für abgesetzt. Im Mai wurde der prowestliche Geschäftsmann Petro Poroschenko zum Präsidenten gewählt.

Einen Monat zuvor hatten prorussische Separatisten im Osten der Ukraine ihre Unabhängigkeit erklärt. Es brachen Kämpfe zwischen den von Russland unterstützten Aufständischen und der ukrainischen Armee aus. Russland übernahm 2014 zudem die Macht auf der Krim. Der gegenwärtige Angriffskrieg gegen die Ukraine begann im Februar 2022.

(Reuters Reporter, Andreas Rinke. Geschrieben von Scot W. Stevenson. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)