Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Eine Menge möglicher Überraschungen sehen Händler ab der kommenden Woche auf die Märkte zurollen. Denn genau genommen handele es sich um "die erste richtige" Handelswoche des Jahres. Erst dann dürften alle Marktteilnehmer aus dem Urlaub zurückgekehrt sein und sich wieder voll der Börse widmen. Daher dürfte dann auch die Jahresanfangsrally auf ihre Haltbarkeit getestet werden. Sollte es im Wochenverlauf nicht zu kräftigen Gewinnmitnahmen kommen, könne von einer positiven Grundhaltung der Marktteilnehmer ausgegangen werden.


   Die Themen sind "zu" offensichtlich 

Die Themen sind bisher klar gesetzt: Zum einen die Zinspolitik in den USA und Europa, zum anderen das tatsächliche Ausmaß der als "milde" erwarteten Rezession. Dies ist vielleicht aber schon ein zu weit verbreiteter Konsens am Markt. Denn es zeichnen sich bereits diverse Kandidaten als Joker für die kommende Marktrichtung ab: So z.B. die Feuerpause durch Russland in der Ukraine. Als terminlicher Aufhänger dient hier das orthodoxe Weihnachtsfest ab dem 7. Dezember. Sollte es jedoch eine Grundlage für weitergehende Verhandlungen werden, würden die Börsen dies wohl feiern.

China ist mit seiner 180-Grad-Wende bei der Covid-Politik thematisch etwas aus dem Gesichtsfeld der Börsen in Europa verschwunden. Dabei bezeichnen Strategen wie von Jefferies China als "die Mutter aller U-Turns". Auch der Trade auf die positiven Folgen der Wiedereröffnung des Landes sollte daher weiterlaufen und die davon abhängigen Aktien weiter nach oben treiben.

Umgekehrt ist die ständige Wahlwiederholung um den Sprecher des US-Repräsentantenhauses weit entfernt davon, nur eine Posse zu sein. Historisch gibt es zwar noch Luft nach oben, da der Rekord mit 133 Wahlgängen aus dem Jahr 1855 stammt. Doch dies dauerte damals zwei Monate - heutzutage würde es die USA handlungsunfähig machen. Und das zu einer Zeit, zu der demnächst wieder über die Anhebung der Schuldenobergrenze entschieden werden muss.


   Rückgang der Inflation schon zu selbstverständlich - Kernrate warnt 

Und auch beim Thema Inflation sollten Anleger es mit Optimismus nicht übertreiben. Zwar zeigten die jüngsten Barometer wie Verbraucherpreise (CPI) und Produzentenpreise (PPI) in Europa nach unten, zum Vormonat legte das CPI aber in der Kernrate schon wieder zu. Gegen Vorjahr ging es um 5,2 Prozent nach oben. Das zeigt genau das von den Bären erwartete Szenario einer Inflation, die sich ausgebreitet und festgefressen hat - egal ob die Energiepreise nun wieder sinken oder nicht.

Europa-Volkswirtin Ulrike Kastens vom Vermögensverwalter DWS geht davon aus, dass sich die EZB wegen der zunehmenden Volatilität der Preisdaten sogar noch stärker auf die Entwicklung der Kernrate konzentrieren werde - und diese noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht habe. Daher dürfte es auch im Februar um weitere 50 Basispunkte bei den Leitzinsen nach oben gehen.


   Börsen werden zu selbstgefällig 

Spätestens dann wird sich zeigen, ob die Märkte mit ihrem Zinsoptimismus nicht zu weit vorgeprescht sind. Vor allem in den USA fällt immer wieder auf, dass die US-Märkte ihrer eigenen US-Notenbank nicht glauben wollen, wie ernst sie es mit der Inflationsbekämpfung meint.

Die Credit-Analysten der Bank of America warnen sogar davor, dass sich die Börsen gerade ein "Fake"-Goldilocks-Szenario zurechtzimmern könnten. Sichtbar sei dies unter anderem in den Kreditmärkten, wo Risikoprämien kaum noch die Gefahr einer Rezession einpreisen würden.

Auch hier besteht die Gefahr, dass die Börsen zu selbstgefällig sind: So zeigte soeben der Einbruch der Auftragseingänge in Deutschland um 11 Prozent gegenüber Vorjahr, wie schnell es mit den Aufträgen rückwärts gehen kann.


   Aufträge könnten schneller wegschmelzen 

Dabei werden die aktuellen Unternehmensgewinne oft nur von extrem hohen Auftragsbeständen aus der Corona-Zeit abgesichert. Diese schmelzen aber dank nachlassender Lieferkettenprobleme auch immer schneller dahin.

Aktienstrategen halten daher den Blick auf das Verhältnis von abgearbeiteten zu neuen Aufträgen für den interessantesten Indikator der kommenden Berichtssaison. Die "Book-to-Bill"-Ratio und die Firmenaussagen dazu werden Einblick geben, ob die guten Gewinne aus dem vergangenen Quartal überhaupt noch ins Jahr 2023 hinübergerettet werden können.

In den USA startet die Berichtssaison zunächst mit den großen Banken, am Freitag unter anderem mit Bank of America, JP Morgan, Wells Fargo und Citigroup. Erst in der folgenden Woche kommen die großen Industrieunternehmen. In Europa sollte aber schon ab Dienstag bei den Auftragseingängen bei Airbus und ab Mittwoch auf die VDMA-Auftragseingänge für den deutschen Maschinenbau geachtet werden.

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(END) Dow Jones Newswires

January 06, 2023 07:41 ET (12:41 GMT)