FRANKFURT (Dow Jones)--Auf einen schwierig zu navigierenden Parcours sollten sich Anleger in der kommenden Handelswoche einstellen. Oder vielleicht sogar anderthalb: Denn die mit Spannung erwartete Zinsentscheidung der EZB am Donnerstag dürfte von den meisten Marktteilnehmern nur als die Hälfte der Medaille gesehen werden. Erst mit der Zinsentscheidung der US-Notenbank am Mittwoch der folgenden Woche sind dann die jeweiligen Zinssätze und vor allem die Aussagen der Zentralbanker zu ihren Zinsperspektiven bekannt. Entsprechend kann auch dann erst der Euro-Dollar-Kurs fundiert bewertet werden.


   Vorsicht bei Verfalltag rund um Notenbanken 

Da die kommende Handelswoche auch noch am Freitag mit einem Großen September-Verfalltag der Optionen und Futures an den internationalen Terminbörsen endet, dürfte das Handelsgebaren zum großen Teil von Risikovermeidung geprägt sein. Und das reine Risikomanagement bestehender Positionen bei professionellen Marktteilnehmern war noch nie ein Grund für den DAX, einen Ausbruch nach oben zu wagen. Eher ist hier mit einem weiteren Abgleiten bis zur EZB-Sitzung zu rechnen.


   DAX lebt von Hoffnung 

Die Lage für Aktionäre im DAX unterscheidet sich damit fundamental von den Anleihemärkten: Der DAX notiert trotz schwacher Konjunkturdaten auf einem viel zu hohen Niveau unter der 16.000er-Marke und ist damit eher für Rückschläge anfällig. Dazu hangeln sich die Aktienmärkte derzeit mit Durchhalteparolen wie "Zins-Top voraus" von einem Konjunkturdatum zum nächsten. Ignoriert wird dabei, dass die Zinsen angesichts der hartnäckigen Inflation auch sehr, sehr lange auf diesem Top-Niveau bleiben können. Ein entsprechender Kommentar aus der EZB würde genügen, um dieses Kartenhaus der Hoffnung schnell zum Einsturz bringen.


   Bond-Markt risikoärmer als Aktien 

Am Bond-Markt sieht es dagegen nach der langen Baisse umgekehrt aus: Die Zinsniveaus sind attraktiv, die Risiken auch vor dem EZB-Entscheid bekannt und eingepreist. So blicken die Zinsexperten der Commerzbank relativ optimistisch auf deutsche Bundesanleihen. Die Positionierungen im Blick auf die EZB dürften bereits abgeschlossen sein, die jüngste Dynamik der Märkte sehen sie als "ermutigend".

Schließlich seien wichtige Kursmarken in den Bonds verteidigt worden. Entsprechend empfehlen sie, eventuelle Rücksetzer in 10-jährigen Bundesanleihen bei Renditen um 2,60 Prozent zu kaufen.


   Analysten gespalten - Überraschungspotenzial bei EZB 

Mit Blick auf den EZB-Entscheid sehen sie indes überhaupt keine klare Linie am Markt. Die Analysten am Zinsmarkt seien "völlig gespalten", stellt die Commerzbank fest. Von 39 Befragten erwarteten 20 keine Zinserhöhung in der kommenden Woche. Eine knappe Mehrheit erwarte eine letzte Zinserhöhung im Oktober und bereits im März dann die erste Zinssenkung. Und eine Mehrheit von 65 Prozent erwartet derzeit, dass die EZB im Dezember sogar bestätigt, dass die Zinsen ihren Höhepunkt erreicht haben.

Bei derart gespaltenen Meinungen ist das Überraschungspotenzial für die Hälfte der Marktteilnehmer also hoch am Donnerstag. Dazu weisen erfahrene Händler darauf hin, dass die Fokussierung auf die Zinsen nur die halbe Geschichte erzähle. Denn über die Steuerung der noch immer laufenden Anleihekaufprogramme könne die EZB die Auswirkung von Zinsänderungen beliebig verstärken oder abschwächen.


   EZB ohne US-Zinsentscheid ist nur die halbe Miete 

Ohne Informationen über den künftigen Zinspfad in den USA stehen aber die EZB-Aussagen zunächst im luftleeren Raum. Ein Dollar-basierter Auslandsanleger wird nicht in europäische Aktien investieren, solange er keine Vorstellung über den künftigen Euro-Dollar-Wert hat. Denn ein 10-prozentiger Euro-Einbruch würde eventuelle 10 Prozent Aktiengewinn einfach auffressen. Und besonders attraktiv ist Europa mit seinem schwachen Wachstum, aber hoher Inflation, für Auslandsanleger ohnehin nicht: Die Strategen der Bank of America sehen Europa nur noch als "Stagflation Nation". Entsprechend erwarten sie eine EZB-Erhöhung um 25 Basispunkte.

Weniger zwiespältig ist für Anleger der Blick auf die USA, wo die Inflation auf eine starke Wirtschaft trifft. So deuten jüngste Aussagen von Fed-Gouverneuren auf eine weiter stringente Inflationsbekämpfung. Der Mittwoch kommende Woche könnte dadurch zu einem Entscheidungstag werden: Denn mit den US-Verbraucherpreisen (CPI) für August wird die zentrale Grundlage für die US-Notenbank-Entscheidung veröffentlicht. Der Markt dürfte jedes Detail sezieren und sich danach positionieren.


   US-Inflation letzter wichtiger Indikator vor Fed 

Sämtliche anderen Konjunkturdaten verblassen gegenüber dem US-CPI. Etwas geblickt wird aber noch auf die chinesischen Verbraucherpreise, die bereits am Wochenende anstehen. Hier werden schwache Daten als Zeichen einer schwächeren Ökonomie erwartet. Am Dienstag dürften die ZEW-Konjunkturdaten den Absturz der deutschen Wirtschaft bestätigen.

Eine positive Überraschung wäre dann zwar nett für die reale Welt, für die Börse aber eine Belastung: Schließlich würde eine stärkere Konjunktur in Deutschland den Spielraum der EZB für Zinslockerungen einengen.

Indikatoren für die Interpretation der Fed-Pläne liefern am Donnerstag auch die US-Erzeugerpreise (PPI) und der Einzelhandelsumsatz. Am Freitag wird auf die Import-Export-Preise und Industrieproduktion geblickt. Wie üblich gilt bei allen die Devise: Je schwächer, desto besser - denn der fallende Inflationsdruck würde die Fed milde stimmen.

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September 08, 2023 06:25 ET (10:25 GMT)