Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Wenn es darum geht, mit der Vorstellung seines Wahlprogramms Begeisterungsstürme für einen Regierungswechsel auszulösen, gibt es bei SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz eine Menge Luft nach oben. Coronabedingt präsentierte der Bundesfinanzminister das 48-seitige Papier zusammen mit den beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans per Video.

Es sei ein "zuversichtliches Programm", das "jeden politischen Test, jede politische Debatte bestehen" werde, versprach Scholz am Montag nüchtern. Die SPD sei eine Partei des Respekts, wobei man da die Sozialdemokraten vielleicht auch an die Jahre der parteiinternen Selbstzerfleischung erinnern sollte. Es ist noch nicht lange her, dass Andrea Nahles entnervt das Handtuch warf.

Doch diese Selbstzerfleischung ist zumindest seit der Wahl des Duos an die Parteispitze und seit Scholz' Ernennung zum Kanzlerkandidaten zum Ende gekommen. Bei den Wählern hat es unterdessen wenig genutzt.

Dennoch geht es der SPD um die Kanzlerschaft. Die will man nach knapp 16 Jahren von der Union zurückerobern. Dafür rückt die SPD weiter nach links: Starker Staat, höhere Steuern, Abschied von der schwarzen Null - das sind alles Vorstellungen, mit denen die Linkspartei und auch die Grünen eher gut leben können. Mit ihrem Programm drückt die SPD ihre Präferenz aus. Auch die ungeliebte Grundsicherung Hartz IV soll durch ein Bürgergeld ersetzt werden.


Nordisch und nüchtern 

Es ist kein Wunder, dass die SPD diese Positionen wählt, denn mit der Union will sie nach der Bundestagswahl auf keinen Fall erneut in eine große Koalition eintreten. Da bleibt ihr nur die Grünen und die Linken.

Ob die Rechnung aufgeht, ist aber mehr als ungewiss. Scholz ist ein solider Politiker, dem niemand Unfähigkeit unterstellt. Nordisch und nüchtern macht er seine Arbeit im Finanzministerium. Aber er tut sich mit dem Verkaufen von Politik schwer.

Lange haftete ihm der Spitzname "Scholzomat" an, mit dem seine öffentlich oft stoisch, fast automatenhaft wirkende Art beschrieben wurde, als er im Jahr 2003 die Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) vermittelte. Das hat sich noch immer - in der Öffentlichkeit zumindest - kaum verändert. Auch am Montag fehlte die Leidenschaft.

Schwer vorstellbar, dass Scholz die Wählermassen auf den Marktplätzen umwerfen könnte. Vielleicht kommt es ihm auch zupass, dass in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie riesige Ansammlungen eher unwahrscheinlich sind. Kleine Kreise liegen ihm eher.

Aber ob das reichen wird, ihm seinen Traum vom Kanzleramt zu erfüllen? Bislang hat Scholz seit seiner Ernennung zum Kanzlerkandidaten der SPD kein Umfrageplus beschert. Mit zuletzt 16 Prozent an Wählerzustimmung liegt die SPD immer noch unterhalb des ohnehin schlechten Ergebnisses von 20,5 Prozent in der vergangenen Bundestagswahl. Aktuell liegen die Grünen bei 18 Prozent und die Linke bei 8 Prozent. Die Stimmen aller drei Parteien zusammen reichen nicht für eine Mehrheit im Bundestag.


Latte vorgelegt 

Wird es Scholz helfen, dass die SPD die Agenda gesetzt hat im Bundestagswahlkampf, wie er glaubt? "Wir haben sehr früh uns auf den Platz gestellt. Wir haben den Kanzlerkandidaten, wir haben das Programm. Deshalb legen wir auch die Latte vor für all das, was gewissermaßen von allen zu diskutieren ist", erklärte ein sichtlich stolzer Scholz am Montag.

Es stimmt, dass die Kanzlerkandidatenfrage in der Union noch zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Vorsitzendem Markus Söder geklärt werden muss. Scholz muss hier auf Laschet hoffen, denn der konnte bislang in Umfragen nach der Kanzlereignung weniger stark überzeugen als Söder. Aber ob das reicht, ist fraglich. Zuversicht wird er brauchen.

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March 01, 2021 11:55 ET (16:55 GMT)