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MÜNCHEN (dpa-AFX) - Ein 33-Jähriger aus Bayern ist der erste mit dem neuen Coronavirus infizierte Patient in Deutschland. Der Mann habe am 21. Januar an einer Schulung seiner Firma Webasto in Stockdorf (Landkreis Starnberg) teilgenommen und sich dabei bei einer Kollegin aus China angesteckt, hieß es am Dienstag vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Die Frau hatte sich demnach bei ihren aus der besonders betroffenen Stadt Wuhan in Zentralchina stammenden Eltern infiziert. Symptome entwickelte sie aber erst beim Rückflug nach China am 23. Januar.

In Europa waren zuvor drei Infektionen mit dem neuartigen Virus nachgewiesen worden. Alle betrafen Menschen in Frankreich, die zuvor in China gewesen waren. Das Virus mit dem vorläufigen Namen 2019-nCoV kann neben Fieber und Husten schwere Atemwegsprobleme verursachen. Im Hauptverbreitungsland China sind bereits mehr als 100 Menschen an der Infektion gestorben - die meisten davon waren ältere Patienten mit schweren Vorerkrankungen.

In Deutschland sollen weitere Meldepflichten für Fluggesellschaften und Krankenhäuser kommen, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mitteilte. So sollen bei Flügen aus China die Piloten vor dem Landen an deutschen Flughäfen den Tower über den Gesundheitszustand der Passagiere informieren. Reisende aus China sollen in Formularen Angaben zu ihrem Flug, ihrem Aufenthaltsort und ihrer Erreichbarkeit in den nächsten 30 Tagen machen. Wie Spahn weiter sagte, sollen Kliniken künftig auch schon begründete Verdachtsfälle auf das Coronavirus an das Robert Koch-Institut melden müssen - nicht nur bestätigte Fälle. "Die Gefahr für die Gesundheit der Menschen in Deutschland bleibt nach unserer Einschätzung weiterhin gering", bekräftige Spahn. "Für übertriebene Sorge gibt es keinen Grund."

Der 33-Jährige aus dem Landkreis Landsberg am Lech wird derzeit auf der Isolierstation im Münchner Klinikum Schwabing betreut, wie Clemens Wendtner, Chefarzt im Klinikum, sagte. Dem Patienten gehe es gut. "Er ist fieberfrei, hat auch derzeit keine Atemwegssymptomatik mehr." Der Mann habe bei der Webasto-Schulung den ganzen Tag mit der chinesischen Kollegin in einem Raum gesessen, sagte eine Unternehmenssprecherin. Zunächst gab es keine weiteren Verdachtsfälle, bei denen Menschen bereits Symptome zeigten. Die Inkubationszeit beträgt bei der Lungenkrankheit allerdings bis zu zwei Wochen.

Die Behörden seien nun damit beschäftigt, herauszufinden, mit wem die beiden Webasto-Mitarbeiter in den vergangenen Tagen in Deutschland Kontakt hatten, hieß es weiter. Das müsse jetzt "ganz rasch" gehen. Derzeit würden 40 Kontaktpersonen in der Firma und der Familie überprüft, sagte der Leiter der Taskforce Infektiologie, Martin Hoch. "Die Zahl kann noch steigen." Enge Kontaktpersonen wie Familienmitglieder und Kollegen des 33-Jährigen sind aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Unter Beobachtung steht auch eine Kindertagesstätte, die das Kind des Erkrankten besucht.

Übertragungen bevor Symptome auftreten, gelten als sehr selten. Besonders an dem Fall in Bayern ist auch, dass es einer von erst vier bekannten Nachweisen weltweit ist, bei denen die Ansteckung außerhalb Chinas geschah. Bisher handelte es sich bei fast allen der rund 60 erfassten Infektionen um importierte Fälle, die Betroffenen hatten sich bei einer Reise nach China infiziert. In Vietnam gab es den Behörden des Landes zufolge eine Übertragung zwischen Vater und Sohn, zudem wurde in Japan am Dienstag ein erster Fall einer Übertragung im Land gemeldet. Erkrankt ist ein Busfahrer, der chinesische Touristen aus Wuhan gefahren hatte. In Taiwan steckte sich ein um die 50 Jahre alter Mann bei seiner Frau an, nachdem diese aus Wuhan zurückgekehrt war, wie die zuständige Behörde CECC am Dienstag mitteilte.

Webasto stellte seinen Mitarbeitern in der Stockdorfer Zentrale frei, ob sie in den nächsten Tagen ins Büro kommen oder lieber zuhause arbeiten wollen. Zudem wurden sämtliche Dienstreisen nach China für die nächsten zwei Wochen abgesagt. Das Unternehmen ist ein großer Zulieferer für die Autoindustrie mit 13 400 Mitarbeitern. In China gibt es zwölf Standorte.

Die Gesamtzahl der weltweit bekannten Erkrankungen ist inzwischen auf mehr als 4500 gestiegen, betroffen ist weiterhin vor allem die Provinz Hubei mit der 11-Millionen Metropole Wuhan, wo der Erreger auf einem Markt von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen sein soll. Die Bundesregierung warnt seit Dienstag vor Reisen nach Hubei.

Wegen der Lungenkrankheit holen viele Länder ihre Staatsangehörigen aus Wuhan zurück - so etwa Großbritannien, Belgien, Japan, Südkorea, Frankreich und die USA. Auch die Bundesregierung bereitet einen Evakuierungsflug vor, um ausreisewillige Deutsche aus Wuhan auszufliegen. Ein genauer Zeitpunkt stand Dienstag noch nicht fest. Nach Angaben des Auswärtigen Amts befinden sich in der Region 90 Deutsche und Angehörige.

Einzelne Länder beginnen zudem, die Einreise von Chinesen zu beschränken. Hongkong will seine Grenze zur Volksrepublik weitgehend dichtmachen: Alle Zug- und Fährverbindungen werden von Donnerstag um Mitternacht an gekappt. Die chinesische Sonderverwaltungsregion halbiert zudem die Zahl der Flüge aus China. Auch Taiwan und die Philippinen haben die Einreisebestimmungen für Chinesen verschärft.

Die EU-Kommission will im Kampf gegen die Ausbreitung des neuen Coronavirus ein koordiniertes Vorgehen aller EU-Länder bei der Überwachung von Einreisen. Denkbar sei auch gegenseitige Hilfe über den europäischen Katastrophenschutz-Mechanismus, zum Beispiel für die Rückholung von EU-Bürgern aus China, hieß es am Dienstag nach einer Sitzung des Ausschusses für Gesundheitssicherheit in Brüssel.

China hatte in den vergangenen Tagen drastische Maßnahmen ergriffen: In der Provinz Hubei wurden 45 Millionen Menschen in mehr als einem Dutzend Städten weitgehend von der Außenwelt abgeschottet. Flüge sowie Fern- und Nahverkehr wurden gestoppt. Eine schützende Impfung oder eine spezielle Therapie zur Behandlung der Erkrankung gibt es nicht.

Nach derzeitiger Einschätzung von Experten verläuft die neuartige Lungenkrankheit in den meisten Fällen mild, möglicherweise sogar ohne Symptome. Der neue Erreger ist dem Virus hinter der Sars-Epidemie 2002/2003 sehr ähnlich. Damals hatte es nach Daten der Weltgesundheitsorganisation zwischen November 2002 und Juli 2003 neun Nachweise in Deutschland gegeben. Todesfälle gab es hier nicht./kll/DP/nas