Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht angesichts des existenziellen Produktionsrückgangs in der energieintensiven Industrie Bewegung in der Diskussion um die Einführung des von ihm vorgeschlagenen staatlich subventionierten Industriestrompreises. Die Chancen für die Einführung stünden aktuell "50:50" verglichen mit 10:90 zu einem früherem Zeitpunkt, wie Habeck auf dem Klimakongress des BDI sagte. Der Minister regte zudem eine Debatte über die aktuellen finanzpolitischen Grundlagen in Deutschland an. Man müsse sich fragen, ob diese angesichts der mit der Zeitenwende verbundenen Herausforderungen noch angemessen seien. Klimaschutz gelinge nur mit wirtschaftlicher Prosperität.

Habeck betonte, dass die chemische Industrie einen Produktionsrückgang von 20 Prozent zu verzeichnen habe, was existenziell für die Branche sei. Die hohen Energiepreise hätten auch mit den Folgen der Energiekrise des vergangenen Jahres und mit dem Ausbleiben des billigen russischen Gases zu tun. Daher sei es gerechtfertigt, die Unternehmen bei ihren höheren Kosten vorübergehend zu unterstützten.

"Da bewegt sich was. Die Produktionseinbrüche sind ja da. Ich glaube es wird zunehmend auch verstanden", so Habeck. Bei dem Industriestrompreis gehe es nicht nur um das Unternehmen.

"Es geht bei diesem Preis überhaupt nicht darum - darauf kann man in der Struktur achten -, dass die Renditen der Unternehmen klischeemäßig steigen, sondern dass die Leute Beschäftigung finden, dass die Regionen stabil bleiben, dass wir eine gewisse Kompetenz im Land halten für die Grundstoffe, die sich dann in den medizinischen Produkten oder in der Automobilindustrie wiederfinden. Das wird, glaube ich, zunehmend verstanden", so Habeck.


   Habeck will über Schuldenregeln reden 

Angesichts der Finanzierungsfrage regte Habeck eine grundsätzliche Diskussion über die finanzpolitischen Regeln in Deutschland an. Diese sind geprägt von der Schuldenregeln sowie dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, die allesamt Grenzen für die erlaubte Verschuldung setzen.

Er verwies auf die höheren Ausgaben für die Bundeswehr. Diese könnten noch vier Jahre lang mit dem Bundeswehr Sondervermögen finanziert werden. Danach müsse man aber 20 Milliarden Euro finanzieren, um wie der Nato gegenüber versprochen jährlich 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung auszugeben. Hier müsse man sich fragen, ob das Wirtschaftswachstum dann hoch genug sein werde, um diese Ausgaben zu finanzieren oder ob man Ausgaben an anderer Stelle wie etwa für Wirtschaftsunterstützung, Steuererleichterungen oder für Forschung und Bildung gegenrechnen müsse. Er plädierte daher dafür, über die finanzpolitischen Regeln zu sprechen.

"Es ist eine Frage, die wir die letzten Jahre nicht diskutieren mussten, weil wir gedacht haben, die Amis passen sowieso auf uns auf, brauchen wir nicht. Ich weise nur darauf hin, es ist eine Frage, über die wir die letzten 20, 30 Jahre nicht diskutieren mussten", so Habeck. Er weise darauf hin, "dass diese Regeln möglicherweise nicht zu der Zeit, der Zeitenwende" passten.


   Industrie hält schnelle staatliche Hilfen für günstiger 

Christian Hartel, CEO von Wacker Chemie, beklagte in einer Diskussionsrunde mit Habeck den massiven Produktionseinbruch in der energieintensive Industrie aufgrund der Energiekosten.

Deutschland brauche nicht den gleichen Strompreis wie in den USA oder in China, denn wegen der höheren Effizienz in Deutschland seien doppelt so hohe Strompreise noch möglich. "Aber bei Faktor drei und fünf wird es eng", so Hartel.

Grüne Energie sei der billigste Strom, den es gebe, aber es müsste in Deutschland schneller ausgebaut und über Netze aus dem Ausland importieren werden. In den 2030er Jahren werde die Situation in Deutschlands anders und Strom günstiger sein. Nur würde er als Unternehmer die 30er Jahre gerne erleben, dazu müsse man als Unternehmen aber erst die kommenden Jahre überleben, so Hartel.

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September 26, 2023 08:07 ET (12:07 GMT)