Eine besondere Form digitaler Güter sind sogenannte Smart Contracts - kleine Computerprogramme, welche die Abbildung eines Vertragsverhältnisses auf der Blockchain ermöglichen. Die Vertragsbedingungen werden in einem Smart Contract gespeichert und unter definierten Bedingungen umgesetzt. So werden zum Beispiel Vertragsstrafen oder gestaffelte Volumen-Rabatte automatisiert durch den Smart Contract umgesetzt.

Basierend auf diesen zentralen Eigenschaften entstehen seit nun fast 10 Jahren neue Anwendungen - allen voran die Krypto-Währungen wie Bitcoin, Ether oder Dash. Neben der Nutzung als Währung gibt es noch weit mehr Anwendungsfälle für Blockchain-Technologien. Ein paar Beispiele: Identity-Management: Identifizierung von Personen; Branchen-Ledger: Effizienter und transparenter Austausch von Informationen innerhalb einer Branche; Supply-Chain Management: Zahlungen, Herkunfts-Tracking und Handel einer Branche basierend auf einer geteilten und sicheren Infrastruktur; Auditing/Compliance: Prüfung von Transaktionen durch unabhängige Instanzen basierend auf gemeinsamen und nicht-veränderbaren Basis-Daten; ICOs: Unregulierter Zugang zu Kapital.

Die Liste lässt sich fortsetzen und entsprechend gross ist die Anzahl von Startups und etablierten Unternehmen, die das Thema mit neuen Dienstleistungen und Produkten für sich belegen wollen. Allen Ansätzen gemeinsam ist die Nutzung der Basis-Eigenschaft der Dezentralisierung: Systeme und Prozesse, welche bisher eine oder mehrere Treuhänder wie Banken, Börsen oder Facebook benötigten, sollen in Zukunft ohne Zwischenhändler auskommen, damit günstiger werden und unter voller Kontrolle des Nutzers liegen. Es ist deshalb kein Wunder, dass gerade Unternehmen, die derzeit solche Zwischenhändlerfunktionen einnehmen, massiv in Blockchain-Technologie investieren und Knowhow aufbauen, um das eigene Geschäftsmodell auch in Zukunft abzusichern.

Die Werbewirtschaft vor der Disruption? Die Werbewirtschaft zählt zu den Branchen mit traditionell vielen Zwischenhändlern. Blockchain-Systeme werden sie mit Sicherheit verändern. Es gibt bereits Ansätze, die jeder für sich versprechen, die Werbebranche zu disrumpieren und vollständig auf den Kopf zu stellen.

Supply-Chain Monitoring: Ternio.io

Einen noch weitergehenden Ansatz verfolgt die Firma Kochava. Sie hat die Initiative XCHNG ins Leben gerufen. Diese hat sich nicht weniger zum Ziel gesetzt, als die gesamte Basis-Infrastruktur für digitale Werbung auf eine einheitliche Blockchain-Plattform zu migrieren: Werbebuchungen sollen über Smart Contract IOs und eine eigene Währung abgewickelt werden. Dazu werden Zielgruppen innerhalb der Blockchain identifiziert und die Werbeleistungen über einen auf der Blockchain verteilten Ad Server ausgeliefert. Die Rolle von Kochava wird dabei ehrlich als sogenannt wohlwollender Diktator bezeichnet.

Ein zentrales Element in der Wertschöpfungskette bilden die Endnutzer. Spätestens seit GDPR und die veränderte Gesetzeslage wird ihre Rolle immer wichtiger: sie haben mehr Rechte in Bezug auf ihre Daten und die Marktteilnehmern buhlen deshalb um sie. Die meisten Blockchain-Projekte im Bereich Werbung versuchen deshalb, User gleich ins System zu integrieren.

Quelle: https://venturebeat.com/2018/02/08/kochavas-xchng-will-bring-blockchain-to-mobile-ad-measurement/

Zero Party Data und Consumer-Loyalty: knowledge.io und Datawallet
First-, Second- und Third-Party Data sind inzwischen im Standard-Vokabular jedes kundigen Werbefachmanns zu finden. Vergleichsweise neu ist allerdings das Konzept von Zero Party Data - Daten des Users, die er selber verwalten, nutzen und weitergeben kann. Zum Beispiel sollen Nutzer über die Datawallet-Plattform wieder Herr über ihre Daten werden: Nutzer können ihre Daten auf der Blockchain-Technologie speichern und selektiv an Online-Dienste oder Werbetreibende abgeben. Dafür werden sie gegebenenfalls vergütet. Datawallet hat die Ambition, der Data-Layer des Internet zu werden.

Einen anderen Ansatz verfolgt das Projekt knowledge.io, welches unter anderem zum Ziel hat, einen Knowledge-Graph aufzubauen. Dieser will Themen-Wissen abbilden und eine Werbeplattform rund um eine neue Währung CPR - Cost Per Response aufbauen. Dabei werden Publisher und deren Nutzer vergütet, die über ihre Plattform Produktempfehlungen oder Antworten zu Themen bzgl. eines Produktes liefern.

Quelle: https://knowledge.io/blog-how-knowledge-io-qads-work/

Payment: Amino Die Zahlungskette im Programmatic Advertising verläuft klassischerweise vom Werbekunden über DSP und SSP zum Publisher. DSP und SSP nehmen entsprechend eine Banking-Funktion ein, was zu Intransparenzen zwischen Werbekunden und Publishern führen kann: Werbekunden sind unsicher, wieviel ihres Media-Budgets tatsächlich bei Publishern landet.

Dieses Problem versucht Amino über Blockchain-Technologie zu lösen. Anstatt die Zahlung aller Zwischenfunktionen innerhalb einer Kette durchzuführen, wird die Zahlung jeweils direkt durch den Werbekunden an die jeweiligen Dienstleister über die Amino-Blockchain durchgeführt. Dadurch werden Margen transparent und kontrollierbar. Amino ist bereits in Betrieb und wird in den USA schon genutzt.

Die genannten Beispiele zeigen, wie weit die Fantasie in Bezug auf die Blockchain geht und welche fundamentalen Änderungen die Zukunft mittel- bis langfristig mit sich bringen kann. Dies ruft natürlich auch die etablierten Marktteilnehmer auf den Plan: So verkündete Facebook unlängst, dass unter Leitung von hochrangigen Facebook-Managern (u.a. David Marcu, Ex PayPal CEO) die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie beim Social-Media-Giganten evaluiert werden. Und MediaMath (DSP-Anbieter) investiert in Blockchain-Startups, welche die Chancen der Blockchain-Technologie im Bereich Digital Advertising ausloten.

Herausforderungen für die breite Nutzung der Blockchain in der Werbung
Damit Blockchain-Technologien wirklich nützlich eingesetzt werden können, gilt es noch viele technische und inhaltliche Fragen zu beantworten und Hürden zu überwinden:

1. Skalierung
Die oben beispielhaft aufgeführten Anwendungen haben eines gemeinsam: sie setzen voraus, dass solche Systeme in naher Zukunft eine ähnliche Skalierung bezüglich Transaktionsgeschwindigkeit und -menge, sowie im Volumen der zu speichernden Daten aufweisen, wie die derzeitig genutzten Systeme. Dies ist aber lange noch nicht der Fall. Selbst die mit geringeren Anforderungen an Konsens-Algorithmen und Knoten-Anzahl auskommenden Private Blockchains (zum Beispiel auf Basis von Hyperledger), die für B2B Anwendungen konzipiert sind, weisen heute lange nicht die notwendigen Eigenschaften in Bezug auf Transaktionsgeschwindigkeit und Speicherfähigkeit auf. Die Skalierung der Technologie ist deshalb derzeit auch ein Haupt-Fokus aller Blockchain-Entwickler.

2. Governance
Wichtig aber oft nicht ausreichend unterstrichen, ist auch die Frage der Governance. Zentraler Mehrwert von Blockchain-Technologien ist, dass Prozesse effizienter durchlaufen werden und ohne Gatekeeper/Treuhänder auskommen. Dies widerspricht dem Aufbau von Geschäftsmodellen, welche über den reinen Betrieb einer Blockchain-Infrastruktur hinausgehen, da ansonsten wieder Gatekeeper-Funktionen aufgebaut werden und der Dezentralisierungs-Mehrwert entfällt.

3. GDPR
GDPR sichert Nutzern das Recht auf Vergessen zu. Das heisst, Nutzer müssen jederzeit das Recht und die Möglichkeit haben, ihre personenbezogenen Daten aus beliebigen Systemen löschen zu können. Per Definition sind in Blockchain-Systemen gespeicherte Daten aber nicht löschbar. Auch wenn solche Daten durch Verschlüsselung gesichert sind, bleiben sie streng genommen immer noch im System und können rechtliche Fragen aufwerfen.

Pragmatismus ist gefragt
Trotz der Herausforderungen, die die Blockchain-Technologien noch meistern müssen, ist wahrscheinlich, dass sie weitreichende Veränderungen in vielen Bereichen des Lebens verursachen werden. Deshalb ist es wichtig, sich schon heute praktisch damit auseinanderzusetzen. So ist man vorbereitet, wenn sie - glaubt man dem Hype Cycle - in etwa fünf Jahren aus dem Tal der Enttäuschung über den Pfad der Erleuchtung das Plateau der Produktivität erreichen wird. Wir Autoren empfehlen jedenfalls, das Blockchain-Thema schweizerisch anzugehen und es als gemeinsame Initiative der Werbebranche und mit dem notwendigen Realismus zu bearbeiten. Das könnte z.B. die Effizienz-Optimierung bestehender Geschäftsprozesse im Bereich Buchungsabwicklung und -Reporting sein. Die derzeit noch manuell durchgeführten und nicht-standardisierten Prozesse könnten beim Zusammenführen von Kampagnen-Reports auf Agenturseite durch standardisierte Übergabe über eine Branchen-Blockchain zu immensen Effizienz-Gewinnen führen und die Basis für weitere Entwicklungen und Ideen rund um das Thema Blockchain bilden. Gerade vergleichsweise kleine, dafür aber mit unmittelbarem Nutzen für alle beteiligten Parteien umgesetzte Projekte sind oft jene, die eine Technologie auf das Plateau der Produktivität heben. Das Internet wurde schliesslich auch nicht an einem Tag erbaut.

Autor: Jochen Witte, Director Digital Transformation, Goldbach Group AG Co-Autor: Maurizio Miggiano, Mediacom, Head of Data & Analytics, MediaCom Switzerland

Goldbach Group AG veröffentlichte diesen Inhalt am 23 Juli 2018 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 23 Juli 2018 11:08:01 UTC.

Originaldokumenthttp://www.goldbachgroup.com/de-ch/news/blockchain

Public permalinkhttp://www.publicnow.com/view/3B382B99B05AD90282A790EDF257F13A6517E130