Tages-Anzeiger Montag 6 Februar 2023

Fotovoltaik auf Kulturland Bäuerinnen und Bauern sollen beim Umstieg auf erneuerbare Energien mithelfen. Politiker wollen deshalb Solaranlagen auf Äckern fördern. Doch der Bauernverband befürchtet Abstriche bei der Produktion von Nahrungsmitteln.

von Stefan Häne

Unten Nahrungsmittel, oben Strom: Die Landwirtin Barbara Schwab Züger will ihren Boden im bernischen Walperswil doppelt nutzen. Auf einer Fläche so gross wie ein Viertel eines Fussballfelds sollen Himbeeren und Erdbeeren unter extra lichtdurchlässigen Solaranlagen heranwachsen. Die Panels dienen als Wetterschutz. Den erzeugten Strom kann Schwabs Betrieb selber nutzen.

Fachleute sprechen von Agrifotovoltaik, kurz: Agri-FV. «Ich bin überzeugt, dass sie eine Chance für die Landwirtschaft ist», sagt Schwab Züger. Für den Versuch arbeitet ihr Betrieb mit Agroscope zusammen, der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt des Bundes. Viele Fragen müssen geklärt werden: Welche Beerenarten sind geeignet? Werfen die Kulturen unter Panels dieselben Erträge ab wie ohne? Rentiert die Anlage?

Auf Schwab Zügers Betrieb müsste der Versuch eigentlich schon laufen. Doch wegen Lieferverzögerungen wurde die Testanlage nicht fristgerecht fertig. Das ändert aber nichts an den Hoffnungen, die in die Fotovoltaik auf Kulturland gesetzt werden: Sie soll die Energiewende voranbringen. Wegen der Elektrifizierung von Verkehr und Wärme wird die Schweiz künftig mehr Strom verbrauchen, Fachleute nennen 80 Terawattstunden pro Jahr, rund 20 mehr als heute.

Energiewende wird gebremst

Sollen davon etwa 10 Prozent aus Agri-FV stammen, braucht es dafür folgende Flächen: 115 km2 Ackerfläche oder 280 km2 Grünland oder 96 km2 sogenannte Dauerkulturen, also Rebberge und Obstanlagen. Diese Zahlen hat ein Team der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften letztes Jahr ermittelt. Zur Einordnung: Ein Drittel der Schweizer Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt, rund 14'500 Quadratkilometer.

Auch anderswo laufen Versuche, etwa in Wädenswil ZH oder bei Siders VS. Insolight SA, ein Start-up der ETH Lausanne, hat gemäss eigenen Angaben ein intelligentes Pflanzenschutz-System entwickelt: Es produziert Strom nur mit jenem Licht, das die Pflanzen nicht benötigen.

Indes, in der Schweiz ist Agri-FV heute bloss unter strikten Auflagen erlaubt. Im letzten Sommer hat der Bundesrat das bisherige faktische Verbot aufgehoben, zugleich aber Bremsen eingebaut. So müssen die Solaranlagen «Vorteile» für die landwirtschaftliche Produktion bringen, also die Erträge erhöhen. Zudem erhalten Bauern für das Land, auf dem sie die Anlagen installieren, keine Direktzahlungen mehr.

Die Solarbranche zeigt sich über das bundesrätliche Regelwerk ernüchtert. Denn damit kommt Agrifotovoltaik praktisch nur für Spezialkulturen wie Beeren infrage, weil diese auch im Schatten von Panels gut gedeihen können. Zudem haben für die Obstbauern, die mit ihren Produkten vergleichsweise viel Wertschöpfung erzielen, Direktzahlungen eine etwas weniger grosse Bedeutung als für andere Bauern.

Nun aber zeichnet sich eine Lockerung des Regimes ab. Der Bundesrat will neu auch für Kulturland mit Agri-FV-Anlagen Direktzahlungen ausrichten. Bauern sollen so mehr Anreize erhalten, in Agri-FV zu investieren. Der Vorschlag steht im landwirtschaftlichen Verordnungspaket 2023, das der Bundesrat vorletzte Woche in die Vernehmlassung geschickt hat.

Auch aus dem Parlament kommt ein Impuls: Künftig sollen Solarpanels auch dann erlaubt sein, wenn dadurch die landwirtschaftlichen Interessen «geringfügig» beeinträchtigt werden, im Klartext: wenn die Ernten leicht zurückgehen. Das schlägt die Umweltkommission (Urek) des Nationalrats vor. Dieselbe Kommission treibt bereits die umstrittene Lex Windkraft voran.

Gebäude haben Potenzial

Der Schweizer Bauernverband reagiert ablehnend auf den Urek-Vorschlag. Präsident Markus Ritter befürchtet, dass die Lebensmittelproduktion «in den Hintergrund gedrängt wird», wenn Bauern mit der Produktion von Solarstrom ein lukratives Geschäft machen können. Heute importiert die Schweiz die Hälfte der Nahrungsmittel. Das Thema Versorgungssicherheit ist im Zuge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs auf der Agenda der Politik nach oben gerückt. Für Ritter ist es zwar «unbestritten», dass es für die Energiewende auch neue Solaranlagen braucht. «Allerdings nicht auf Kosten des Kulturlandes und der Ernährungssicherheit.» Es gelte zuerst, das enorme Potenzial auf Dächern zu nutzen, sagt der Mitte-Nationalrat. Zum Vergleich: Der Bund beziffert das ausschöpfbare Solarstrompotenzial auf Schweizer Gebäuden auf jährlich etwa 67 Terawattstunden.

Auch für die Kleinbauern-Vereinigung soll die landwirtschaftliche Produktion weiterhin Vorrang haben. Präsident und Grünen-Nationalrat Kilian Baumann verweist wie Ritter auf das brachliegende Potenzial bei den Gebäuden. Seiner Ansicht nach sollen Bauern Agri-FV-Anlagen in Zukunft nur dann aufstellen können, wenn sie auf ihren Hofgebäuden bereits Panels installiert haben. Direktzahlungen sollen wie vom Bundesrat vorgeschlagen fliessen, aber an strengere ökologische Auflagen geknüpft werden.

Baumann ist zudem bereit, bei der Nahrungsmittelproduktion eine gewisse Konkurrenzierung durch Agri-FV zuzulassen; er spricht von einem Minderertrag von maximal 20 Prozent. Für die Ernährungssicherheit des Landes seien andere Faktoren entscheidend, etwa die Senkung der Tierbestände und eine Ausrichtung auf eine vermehrt pflanzenbasierte Ernährung.

Ganz anders als beim Bauernverband ist die Gemütslage in der Solarbranche. Die Lockerung, welche die nationalrätliche Umweltkommission vorschlägt, geht für den Verband Swissolar in die richtige Richtung. «Damit wird Agri-FV auch in Kombination mit anderen Kulturen möglich, beschränkt sich also nicht nur wie heute faktisch auf Beeren- und Obstplantagen», sagt Geschäftsführer David Stickelberger.

So umstritten der Plan der Umweltkommission ist: Weniger strenge Auflagen dürften in Bauernkreisen das Interesse an Agri-FV verstärken. Welche Folgen das hat, ist aber unklar. Eine drängende Frage ist, inwieweit die Stromproduktion auf den Feldern eine Spekulation mit dem bäuerlichen Boden anheizen würde. Im Parlament mehren sich die Stimmen, die vom Bundesrat eine Klärung dieser Frage verlangen.

Umsetzung ist schwierig

Nicht zuletzt von der Antwort auf diese Frage wird abhängen, ob Agri-FV in der Schweiz Schub erhalten wird. Die Solarbranche verfolgt die Entwicklung in der Politik deshalb genau. Rainer Isenrich, Verwaltungsratsmitglied bei Insolight, sagt: «Agri-FV-Anlagen sollen ein Hilfsmittel für Bauern sein - und nicht eine zusätzliche Einnahmequelle, die Spekulationen mit Grund und Boden auslösen können.» Isenrich versucht auch, die skizzierten Befürchtungen des Bauernverbands zu zerstreuen: FV-Anlagen seien bei Bedarf, etwa in einem Versorgungsnotfall, schnell rückbaubar. «Daher geht von ihnen keine grundsätzliche Gefahr für die Ernährungssicherheit aus.»

Welche Lösung sich am Ende durchsetzen wird: Es bleibt die grundsätzliche Schwierigkeit, wie sich die Vorgaben der Politik in der Praxis umsetzen lassen. Zum Beispiel wenn es um Minder- oder Mehrerträge geht, die über die Bewilligung einer Anlage entscheiden. Von welcher Basis geht man aus? Wie geht man damit um, dass die Erträge witterungsbedingt schwanken? Swissolar sucht nun das Gespräch mit verschiedenen Bundesämtern, wie Geschäftsführer Stickelberger sagt. «Wir möchten die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der aktuellen Verordnung thematisieren.»

Mehr Klarheit wäre auch im Sinne von Landwirtin Schwab Züger. Sie hält einen Minderertrag bei den Ernten für verkraftbar, solange dieser nur geringfügig ausfällt. «Durch Agri-FV ergeben sich womöglich andere Vorteile.» Was meint sie damit? Je nachdem bräuchten Kulturen so zum Beispiel weniger Wasser oder weniger Pflanzenschutzmittel - was im Einklang stünde mit der Landwirtschaftspolitik des Bundes. Allein auf die Ernteerträge in Tonnen zu fokussieren, greift für Schwab Züger jedenfalls zu kurz. «Es braucht eine gesamtheitliche Betracht

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