Die Flutkatastrophe in Süddeutschland wird für Versicherungen wohl ziemlich teuer. Unterwegs mit einem Schadenregulierer der Allianz, der im Stundentakt Geld verteilt und zwischendurch zum Psychologen wird.
Von Christophvon Eichhorn und Sebastian Strauss
Diese Artikel wurde von der Süddeutschen Zeitung am 12. Juni veröffentlicht
Andreas Stoye kniet vor einer Kellertreppe und blickt in die Dunkelheit. Bis vor Kurzem reichte das Wasser noch bis an die oberen Stufen, erkennbar an einer dünnen Schlammschicht. Stoye macht mit seinem Handy ein Foto von der Wasserkante, dann geht es auf gelben Sicherheitsschuhen hinab in den Keller. Mal sehen, was da für Überraschungen warten.
Das Haus in Wertingen bei Augsburg ist wenige Tage nach der Flutkatastrophe in Süddeutschland Stoyes erster Einsatzort. Als "Großschadenregulierer" der Versicherung Allianz sichtet der Experte gerade jeden Tag, was die Flutkatastrophe zerstört, welche Werte sie vernichtet hat. In diesem Fall von Hausbesitzer Manuel Leichtle, der Stoye nach unten begleitet. Zuerst das Wichtigste: "Wo war der Sicherungskasten?", fragt Stoye vorsichtig. "Erdgeschoss", antwortet Leichtle. Puh, erleichtertes Nicken. Der Strom funktioniert also noch, die Haustechnik muss nicht komplett durchgecheckt werden. Vor allem kann die vierköpfige Familie im Haus wohnen bleiben. Allerdings zunächst ohne Heizung, denn im Keller hat das Wasser den Pelletofen samt vier Tonnen Holzpellets zerstört. "Alles aufgequollen", sagt Stoye und lässt das Ergebnis, eine matschige hellbraune Pampe, durch die Hände rieseln. Auch hier Glück im Unglück: Wäre der Pellettank nicht nur halb, sondern ganz gefüllt gewesen, hätte er womöglich, vollgesogen mit Wasser, die Wände gesprengt. So hat Manuel Leichtle Glück, das Zeug kann einfach rausgeschaufelt werden.
Andreas Stoyes, "Großschadenregulierer", Allianz
Manuel Leichtle etwa hatte eine Gebäudeversicherung auch gegen Elementarschäden, die Allianz übernimmt die Kosten, lässt die Wände trocknen, ersetzt die Heizung und den untergegangenen Hausrat. Der liegt gerade verstreut im Garten oder ist schon im Baucontainer entsorgt, mehrere teure Motorradoutfits, das Spielzeug der Kinder, Erinnerungsstücke der verstorbenen Eltern. 54 000 Euro überweist Stoye nach einer kurzen Überschlagsrechnung am Laptop direkt auf Leichtles Konto. Die Summe kann im Laufe der Zeit noch wachsen, sollten weitere Schäden auftauchen.
Die Allianz hat mehr als 600 Experten ins Flutgebiet geschickt

Für die Versicherungsbranche ist die Flutkatastrophe eine Mammutaufgabe. "Uns wurden bereits 6000 Schadensfälle in den ersten Tagen gemeldet", sagt Christian Krams, Schadenvorstand der Versicherungskammer Bayern, in seinem Büro in München. Eine Zahl, die die gewöhnlichen Erwartungen bei solchen Ereignissen bei Weitem übertrifft. Eine Taskforce aus rund 20 Spezialisten tagt bei der Versicherungskammer nun jeden Morgen, um die angespannte Situation zu koordinieren. 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten an den Schadensfällen der vergangenen Tage, unterstützt von Kollegen aus anderen Abteilungen.

"Bei dieser Anzahl von Schadensmeldungen müssen wir eventuell priorisieren", erklärt Krams. Schadensfälle mit gefährlichen Gütern oder Gefahrenstoffen könnten etwa leichten Kellerüberflutungen vorgezogen werden. Die Allianz hat laut eigenen Angaben mehr als 600 Experten ins Flutgebiet geschickt, außerdem seien 6700 Trocknungsgeräte unterwegs in die Region. Läuft man heute durch den besonders betroffenen Ort Wertingen, sieht es auf den ersten Blick gar nicht mal so schlimm aus: Das Wasser ist abgelaufen, die Autos fahren wieder, die Supermärkte haben offen. Aber kaum jemand, der nicht in Gummistiefeln unterwegs ist, keine nass gewordenen Möbel nach draußen trägt, nicht putzt und Sachen aussortiert. In den Einfahrten röhren Dieselgeneratoren, stapeln sich Autoreifen, Werkzeuge und kaputte Waschmaschinen.

Stefan Schmitt, Bausachverständiger
Foto: Christoph von Eichhorn

Viele hier rätseln, wie aus den drei Bächen, die sonst gemächlich durch den Ort plätschern, innerhalb kürzester Zeit reißende Ströme werden konnten. Praktisch alle sind sich einig: So etwas gab es noch nie. Drohnen- und Handyvideos zeigen, wie weitflächig die Kleinstadt Anfang Juni unter Wasser stand - Straßen, Supermärkte, etliche Wohnhäuser waren überschwemmt, viele Einwohner wurden mit Booten in Sicherheit gebracht.

Einen davon besucht Andreas Stoye jetzt. Hans Volpert, 69, erklärt in Arbeitskluft zur Begrüßung sein Motto: "Ich hab zwar Wasser im Haus, aber Sonne im Herzen." Selbst als mitten in der Nacht die Flut kam, verlor er nicht den Mut, in Wathosen versuchte er zu retten, was zu retten ist. Bis das Boot kam, um ihn aufzulesen. "Für mich der schlimmste Moment", sagt Volpert. Bei ihm sind gleich drei Gebäude beschädigt: In sein Wohnhaus, errichtet im Jahr 1864, lief das Wasser kniehoch. Das Vorderhaus, gebaut in den 1950ern, hatte er an Gewerbekunden vermietet. Nun steht es leer, der Holzboden wölbt sich zu allen Seiten. Auch seine Garage ist beschädigt.

Was Stoye aber am meisten beunruhigt, ist der Öl-Geruch, der sich bis ins Wohnhaus ausgebreitet hat. Im Nachbargebäude sei ein Heizöltank geplatzt, bestätigt Volpert. Für den Bausachverständigen Stefan Schmitt, der den Schaden ebenfalls begutachtet, ist damit klar: Mindestens das Erdgeschoss muss wohl saniert werden, ein Chemiker muss feststellen, wie tief das Öl vorgedrungen ist. Das alles kann dauern. Hans Volpert bleibt dennoch optimistisch. Er könne doch im ersten Stock wohnen bleiben, da sei das Wasser schließlich nicht hingekommen? Doch der Bausachverständige Schmitt macht schließlich unmissverständlich klar: "Es wird so sein, dass Sie es über längere Zeit nicht bewohnen können." Wie lange? "Mindestens ein Jahr." Hans Volpert stöhnt auf, blickt ins Leere. Aber am Ende sagt er doch: "Ich hab trotzdem noch Sonne im Herzen." Er verspricht, sich vorübergehend eine andere Wohnung zu suchen. Rund 50.000 Euro Vorauszahlung bekommt Volpert sofort ausgezahlt.
Foto: Christoph von Eichhorn

"Du bist Geldgeber, aber du bist auch in irgendeiner Form Psychologe ohne psychologische Ausbildung", hatte Andreas Stoye am Morgen gesagt - ein Satz, der sich spätestens an diesem Punkt erschließt. Er hat zwar schon einige Überschwemmungen miterlebt, 2016 in Simbach, 2021 im Ahrtal. Trotzdem habe das Unglück jetzt eine besondere Dimension, findet der Allianz-Mann. "Das Ausmaß der Ausbreitung, vom Bodensee bis Passau, hat eine eigene Qualität", sagt der 45-Jährige. Daran könne man erkennen, "wie viel von dem Kredit, den uns Mutter Natur gegeben hat, wir schon verspielt haben".

Dass es in Deutschland vermehrt zu Extremwetterereignissen wie Sturm, Hagel, Starkregen und Hochwasser kommt, lässt sich mit hoher Sicherheit auf den fortschreitenden Klimawandel zurückführen. Vor wenigen Tagen erklärten französische Klimaforscher in einer Kurzanalyse, die Erderwärmung habe die Unwetter in Süddeutschland wahrscheinlich verstärkt. Infolge der höheren Temperaturen seien bis zu zehn Prozent mehr Niederschläge gefallen. Und die 2021 veröffentlichte Klimawirkungs- und Risikoanalyse des Umweltbundesamtes rechnet damit, dass Extremwetterereignisse insbesondere im Osten und Südwesten Deutschlands in den nächsten Jahren zunehmen. Sollte der Klimawandel weiter voranschreiten, könnten sich die Wetterereignisse laut den Autorinnen und Autoren bis zum Ende des Jahrhunderts auf das gesamte Bundesgebiet ausbreiten.

Foto: Christoph von Eichhorn
Extremwetterereignisse verursachen erhebliche Schäden an Gebäuden
Die Versicherungsbranche ist wie kaum eine andere von den Folgen des Klimawandels betroffen. In den vergangenen Jahren verursachten Extremwetterereignisse immer wieder erhebliche Schäden an Gebäuden und Infrastruktur. Nach Angaben des GDV entstand allein im Jahr 2023 ein Schadensaufwand von 4,9 Milliarden Euro durch Naturgefahren wie Sturm, Hagel und Überschwemmungen infolge von Starkregen - eine Steigerung von etwa 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein Großteil der Schäden entfiel dabei auf Wohngebäude, Hausrat, Industrie und Landwirtschaft. Doch wie wollen die Versicherungen künftig auf das steigende Risiko reagieren? Lucie Bakker, Schadenvorständin der Allianz Versicherungs-AG, zeigt dazu eine Nachricht auf ihrem Smartphone. "Warnung ROT: Starker Regen, 50-80l/qm" steht dort, erhalten kurz vor Beginn der schweren Regenfälle in Süddeutschland. "Das Modell auf der Basis künstlicher Intelligenz kann Unwetter vorhersagen, die Kunden bekommen eine SMS geschickt", sagt Bakker. Dazu würden die Versicherten informiert, was zu tun sei. Bei einem Sturm sollten etwa die Rollläden offen bleiben; außer bei starkem Hagel, wenn die Gefahr besteht, dass Fensterglas durchschlagen werden könnte. Mit dem Frühwarnsystem habe man gute Erfahrungen gemacht, so Bakker.
Lucie Bakker, Schadenvorständin der Allianz Versicherungs-AG, zeigt eine Nachricht auf ihrem Smartphone. "Warnung ROT: Starker Regen, 50-80l/qm" steht dort, erhalten kurz vor Beginn der schweren Regenfälle in Süddeutschland. "Das Modell auf der Basis künstlicher Intelligenz kann Unwetter vorhersagen, die Kunden bekommen eine SMS geschickt", sagt Bakker.
Foto: Christoph von Eichhorn

Angesichts steigender Klimarisiken wird das aber kaum reichen, daher sieht das Konzept der Versicherer insgesamt drei Säulen vor: Neben Prävention und individuellen Schutzmaßnahmen zählen ein privater Versicherungsschutz und staatliche Unterstützung für extreme Naturkatastrophen dazu. Zunächst müsse man den Menschen einen geeigneten Versicherungsschutz anbieten, findet Christian Krams von der Versicherungskammer Bayern. "Es ist für mich unverständlich, dass jemand, der ein Haus besitzt, nicht entsprechend versichert ist." Aktuell sind in Deutschland 54 Prozent der Gebäude gegen Hochwasser und Überschwemmungen versichert. In Bayern beläuft sich die Anzahl sogar lediglich auf 47 Prozent. Wäre dann nicht die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ein probates Mittel? Nein, diesen Vorschlag halte Krams für nicht zielführend, vielmehr müsse man weitere Präventionsmaßnahmen vornehmen. Flutpolder, Überschwemmungswiesen, aber auch die Sicherung von Heizöltanks sowie stabile Kellerfenster seien notwendig, um zukünftigen Schäden vorzubeugen.

"Ich möchte nicht wissen, wie viele Schäden uns noch überrollen", sagt Andreas Stoye am Ende eines langen Arbeitstags- und zeigt auf seinem Smartphone eine Nachricht der Stadt Wertingen, die vor Gesundheitsgefahren durch belastetes Wasser warnt. Beunruhigend findet Stoye das. Für heute ist aber erst mal Schluss. Vier Kundinnen und Kunden hat er besucht, ist durch Keller gestiefelt, hat Wände befühlt, unzählige Flutschäden fotografiert und an die 150 000 Euro überwiesen - und dafür jedes Mal Danke gehört.

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Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset Managern und betreut rund 125 Millionen* Privat- und Unternehmenskunden in knapp 70 Ländern. Versicherungskunden der Allianz nutzen ein breites Angebot von der Sach-, Lebens- und Krankenversicherung über Assistance-Dienstleistungen und Kreditversicherung bis hin zur Industrieversicherung. Die Allianz ist einer der weltweit größten Investoren und betreut im Auftrag ihrer Versicherungskunden ein Investmentportfolio von etwa 746 Milliarden Euro**. Zudem verwalten unsere Asset Manager PIMCO und Allianz Global Investors etwa 1,8 Billionen Euro** für Dritte. Mit unserer systematischen Integration von ökologischen und sozialen Kriterien in unsere Geschäftsprozesse und Investitionsentscheidungen sind wir unter den führenden Versicherern im Dow Jones Sustainability Index. 2023 erwirtschafteten über 157.000 Mitarbeiter für den Konzern einen Umsatz von 161,7 Milliarden Euro und erzielten ein operatives Ergebnis von 14,7 Milliarden Euro.
* Einschließlich nicht konsolidierter Einheiten mit Allianz Kunden.
** Stand: 31. März 2024
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