München (Reuters) - Fingierte Chef-Anrufe und umgeleitete Zahlungen nehmen unter den Betrügereien in deutschen Unternehmen nach einer Studie der Allianz wieder zu - doch am gefährlichsten bleiben die eigenen Mitarbeiter.

"Der interne Täter ist das Riesenproblem", sagte Rüdiger Kirsch, Betrugsexperte beim Kreditversicherer Allianz Trade, am Mittwoch in München. Zwar machen Innentäter im laufenden Jahr nur noch 51 (2022: 57) Prozent der Schadenfälle aus, sie sind dabei nach Allianz-Daten aber immer noch für 69 (2022: 73) Prozent der Schadensumme verantwortlich. "Der typische Täter ist hochgebildet, Mitte 40 und Führungskraft", sagte Kirsch. Am häufigsten sei die Veruntreuung von Geldern durch Buchhalter.

Im vergangenen Jahr zählte das Bundeskriminalamt 73.144 Fälle von Wirtschaftskriminalität, 43 Prozent mehr als 2021. Die Schäden summierten sich auf 2,1 Milliarden Euro. Im Rahmen der Vertrauensschadenversicherung müssten Kreditversicherer wie der europäische Marktführer Allianz Trade (früher Euler Hermes) oft dafür geradestehen. Dabei spielen Hackerangriffe nicht die dominierende Rolle. "Der Mensch bleibt die Schwachstelle", sagte Kirsch. Eine Mischung aus Druck und Schmeicheleien reiche, um Mitarbeiter dazu zu veranlassen, hohe Beträge auf obskure Konten zu überweisen.

Der "Chef-Betrug" - im Fachjargon "Fake President" - erlebe eine Renaissance, sagte der Allianz-Experte. Dabei gibt sich ein Betrüger als Vorgesetzter aus und weist eilige Überweisungen vom Firmenkonto ins Ausland an, die in dunklen Kanälen versickern. Zwar seien es nicht mehr die 50-Millionen-Beträge wie bei den schlagzeilenträchtigen Fällen von Leoni und des österreichischen Flugzeugzulieferers FACC vor einigen Jahren, sondern Summen von 500.000 bis fünf Millionen Euro. "Aber da macht es die Menge." 2022 sei die Schadenssumme um 38 Prozent gestiegen, in diesem Jahr dürften es weitere 24 Prozent sein. Die größten Schäden entstehen aber durch Zahlungsbetrug, also das Umleiten von Geldströmen (Payment Diversion). 41 Prozent der von Allianz Trade registrierten Schadenssumme entstehen dadurch.

Elektronische Hilfsmittel wie ChatGPT dürften das Problem noch verschärfen, glaubt Allianz Trade. Schon heute ließen sich Stimmen und Videos fälschen. Inzwischen reichten E-Mails oder Mitarbeiterbriefe, mit denen die Software gefüttert werde, um gefälschte Anweisungen im Stil des Firmenschefs auszuspucken.

Meistens aber sitzt der Täter im eigenen Unternehmen, oft geschützt durch das Arbeiten im Home Office. Bei Buchhaltern empfehle es sich, sich ein Führungszeugnis vorlegen zu lassen, sagte Kirsch. Viele würden entlassen, nur um beim nächsten Arbeitgeber neuen Schaden anzurichten. Kirsch berichtete von Fällen wie dem Manager, der sich mit 1,4 Millionen Euro aus der Spesenkasse bediente, um seine Spielsucht zu finanzieren, oder der Buchhalterin, die mit schwarzen Kassen Futter und Arztkosten für ihre 200 Katzen finanzierte. Die Compliance-Systeme in den meisten Unternehmen seien zu stark auf Korruption und zu wenig auf solche Täter ausgerichtet, kritisierte Kriminologe Hendrik Schneider.

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)