Zürich (Reuters) - Bei den Parlamentswahlen in der Schweiz zeichnet sich ein Sieg der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ab.

Parolen gegen Zuwanderung dürften der zuletzt wählerstärksten SVP am Sonntag weitere Stimmen eintragen, nachdem in mehreren anderen westeuropäischen Ländern rechte Partien Auftrieb erhalten haben. Mit einem Rückschlag müssen Umfragen zufolge dagegen die Grünen und die ebenfalls ökologisch orientierten Grünliberalen rechnen, die vor vier Jahren triumphiert hatten. "Jetzt schlägt das Pendel zurück", erklärt Reto Föllmi, Wirtschaftspolitik-Professor an der Universität St.Gallen.

Wie in dem auf Stabilität ausgerichteten politischen System der Schweiz üblich dürften die Verschiebungen gemessen an der Entwicklung in anderen Ländern allerdings überschaubar bleiben. Während der Anteil der beiden Öko-Parteien wohl auf zusammen 16,5 von 21 Prozent sinken wird, erreicht die SVP letzten Umfragen zufolge 28,1 (2019: 25,6) Prozent.

"JETZT 10-MILLIONEN-SCHWEIZ STOPPEN"

Die vom Chemie-Unternehmer und Milliardär Christoph Blocher geprägte ehemalige Bauernpartei SVP macht seit den 1990er-Jahren Stimmung gegen Zuwanderung und eine politische Annäherung an den wichtigsten Handelspartner, die Europäische Union. Mit dem Slogan "Jetzt 10-Millionen-Schweiz stoppen" gegen einen weiteren Anstieg der Bevölkerung punktete die Partei auch in dem emotionsarmen Wahlkampf 2023. Wohnungsnot, Kriminalität, steigende Gesundheitskosten, Staus und schwindende Natur thematisierte die SVP im Wahlkampf und plädierte für eine "kontrollierte Zuwanderung".

Tatsächlich ist die Einwohnerzahl der Schweiz in den letzten Jahrzehnten dank der Zuwanderung stark gewachsen und erreichte einschließlich Asylbewerbern zur Jahresmitte neun Millionen. 28 Prozent der Menschen besitzen keinen Schweizer Pass. Nach einer Delle von 2017 bis 2021 strömten zuletzt wieder mehr Menschen in das Land, die größte Gruppe waren dabei die Deutschen.

Hinter dem Anstieg stecken handfeste wirtschaftliche Interessen, denn die Unternehmen sind angesichts der niedrigen Arbeitslosigkeit auf Fachkräfte angewiesen. In die Schweiz kämen vergleichsweise wenige Zuwanderer mit geringer Qualifikation, erklärte Föllmi. "Seit Ende der 90er-Jahre sind die Zuwanderer gleich gut oder besser qualifiziert als die ansässige Bevölkerung. Früher war es umgekehrt." Aber die Zuwanderung schüre Verlustängste. Der Wohnungsbau halte nicht Schritt, die Miet- und Kaufpreise stiegen. Auch gut Qualifizierte sähen Zuwanderer als Konkurrenten im Kampf um Arbeitsplätze.

"VIELE MENSCHEN WOLLEN IHR LEBEN NICHT VERÄNDERN"

Dank einer geringeren Abhängigkeit von russischem Gas und dem starken Franken, der die importierte Teuerung dämpft, ist die Inflation zwar viel geringer als in den umliegenden Ländern. Dennoch sind auch in der Schweiz die Lebenshaltungskosten gestiegen. Gerade bei ärmeren Bevölkerungsgruppen stößt die SVP mit ihrem Kampf gegen die teure Umstellung auf klimafreundliche Antriebe, Heizungen und Fabriken auf Zustimmung. Dazu kommt, dass das Reisen nach den Einschränkungen der Corona-Krise hoch im Kurs steht. Die Grünen stehen dagegen für Verzicht und einen neuen Lebensstil. "Viele Menschen wollen ihr Leben nicht verändern," erklärt Meinungsforscher Michael Hermann. Sie bevorzugten eine technische Lösung für den Klimaschutz.

Auch die Kriege in der Ukraine und Palästina helfen wohl eher der SVP, die die Neutralität strikt auslegt und die Armee ausbauen will. Dank einer Erholung der Sozialdemokraten dürften sich die Verluste des linken Blockes aber in Grenzen halten. Der Einfluss der Wahlen auf die politischen Entscheide in den kommenden Jahren stufen Experten als gering ein. So wird wohl die Parteienvertretung in der siebenköpfigen Koalitionsregierung bei den Wahlen durch das Parlament im Dezember nicht angetastet. Bedeutender als die Wahlen sind für die Politik in der Schweiz ohnehin die vierteljährlichen Volksabstimmungen zu Sachthemen, die den Handlungsspielraum von Regierung und Parlament beschränken. Dies schlägt sich auch in der Wahlbeteiligung nieder. Nicht einmal die Hälfte der Stimmberechtigten dürfte am Sonntag an die Urne gehen.

(Redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Oliver Hirt und Noele Illien