- von Christian Krämer

Das beschloss die zuständige Mindestlohnkommission am Montag nach zähen Verhandlungen, in denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum ersten Mal nicht einigen konnten. Mit der Stimme der Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld wurde der Vorschlag dann nach mehr als 13 Stunden Verhandlungen in der Nacht durchgesetzt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, den Beschluss per Verordnung umzusetzen. Von den Gewerkschaften und auch einigen Ökonomen kam deutliche Kritik.

Zunächst soll der Mindestlohn Anfang 2024 um 41 Cent auf 12,41 Euro pro Stunde steigen, im zweiten Schritt dann Anfang 2025 auf 12,82 Euro. Angesichts der höchsten Inflation seit Jahrzehnten scheint dies wenig zu sein. Schönefeld verwies auf die außerplanmäßige Erhöhung nach der Bundestagswahl. 2022 sei der Mindestlohn dadurch um 15 Prozent angehoben worden. Die Kommission müsse auch abwägen, die Beschäftigung nicht zu gefährden und den Wettbewerb zu sichern.

Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund sprach von einem historischen Vorgang, den die Arbeitgeber durchgedrückt hätten. Es sei eine Revanche. Sie hätten noch keinen Frieden mit der Sondererhöhung von 2022 gemacht. Für sechs Millionen Mindestlohnbeschäftigte bedeute dies nun zwei Jahre lang enorme Reallohnverluste. "Das betrifft vor allem Frauen, und das betrifft vor allem Ostdeutschland." Das Ergebnis sei absolut nicht zufriedenstellend. Es handele sich lediglich um ein Plus von 3,4 und dann 3,3 Prozent.

Arbeitsminister Heil bedauerte, dass es keinen Konsens gegeben habe. Der 2015 eingeführte Mindestlohn sei trotzdem eine Erfolgsgeschichte. "Ich kann verstehen, dass sich einige mehr gewünscht haben." Die Bundesregierung könne laut Gesetz keinen eigenen Gegenvorschlag machen. Würde der Beschluss also nicht umgesetzt, bliebe der Mindestlohn bei 12,00 Euro.

Trotz des Konflikts stellten die Arbeitnehmer die Mindestlohnkommission nicht in Frage. "Das machen wir nicht", so Körzell. Es sei nicht geplant, die Kommission jetzt zu verlassen. Eine Erhöhung auf mindestens 13,50 Euro wäre dennoch nötig gewesen. Spätestens bis Ende 2024 müsse die EU-Mindestlohnrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Demnach müssten die Lohnuntergrenzen mindestens 60 Prozent des Mittelwertes von Vollzeitbeschäftigten betragen. Dies würde in Deutschland mehr als 14 Euro entsprechen.

SCHWIERIGES UMFELD FÜR UNTERNEHMEN

"Die Positionen lagen sehr weit auseinander", sagte Kommissionsvorsitzende Schönefeld. Es seien viele Varianten durchgesprochen worden. Jetzt hätten Unternehmen Planungssicherheit. Die Arbeitgeber sprachen von einem schwierigen Umfeld für Firmen. Der Großhandelsverband BGA nannte es eine Entscheidung mit Augenmaß. "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir derzeit vor einer wirtschaftlichen Rezession stehen." Das belaste Firmen deutlich. Der FDP-Politiker Carl-Julius Cronenberg sagte, die Erhöhung durch die Ampel-Regierung bleibe ein einmaliger Eingriff, der sich nicht wiederholen dürfe. Deswegen sei es richtig, dass die Kommission das Heft wieder in der Hand habe.

Zuletzt war der Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 von 10,45 Euro auf 12,00 Euro angehoben worden. Die Anhebung war per Gesetz verfügt worden. Darauf hatte sich das Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP in den Koalitionsverhandlungen Ende 2021 verständigt. Die Mindestlohnkommission wurde damals übergangen. Sie hatte zuletzt vor drei Jahren eine Empfehlung für eine vierstufige Erhöhung bis auf 10,45 Euro vorgeschlagen.

Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, wertete den aktuellen Beschluss als fatale Entscheidung, der an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigehe. Die Arbeitgeber trügen damit zur Spaltung der Gesellschaft bei. Ähnlich äußerte sich der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Sebastian Dullien: "Das Ergebnis schafft damit soziale Probleme, verletzt den Auftrag der Kommission und gefährdet den gesellschaftlichen Konsens zu den deutschen Mindestlohninstitutionen."

Die Mindestlohnkommission teilte zudem mit, seit seiner Einführung 2015 bis zu den Erhöhungen Anfang 2022 habe es nur geringe negative Auswirkungen auf die Beschäftigung gegeben. Das hätten Studien gezeigt. Nur Minijobs hätten abgenommen. "Auf die Arbeitslosigkeit hatte der Mindestlohn bisher keine Auswirkungen."

(Weitere Reporter: Rene Wagner und Holger Hansen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)