Abtreibung werde nicht von der Verfassung geschützt, schrieb der konservative Richter Samuel Alito für die konservative Mehrheit am Supreme Court. Mit der Entscheidung können nun in zahlreichen Bundesstaaten strenge Abtreibungsgesetze bis hin zum weitgehenden Verbot in Kraft treten. Das Urteil sorgte bei Republikanern und religiösen Konservativen, die seit Jahrzehnten auf diese Entscheidung hingearbeitet hatten, für Jubel. "Wir begrüßen diese historische Entscheidung, die unzählige unschuldige Leben retten wird", schrieben die führenden Republikaner im US-Kongress, Kevin McCarthy, Steve Scalise und Elise Stefanik, in einer gemeinsamen Erklärung. Demokraten und Frauenrechtler zeigten sich entsetzt. "Dieses grausame Urteil ist empörend und herzzerreißend", sagte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.

In einem Grundsatzurteil hatte der Supreme Court 1973 im Fall Roe v. Wade (Roe gegen Wade) landesweit Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche, ermöglicht. Damals leitete das Gericht ein bundesweites Recht auf Abtreibung aus dem Recht von Frauen auf Privatsphäre ab. "Roe war von Anfang an ungeheuerlich falsch", schrieb Alito. "Die Argumentation war außerordentlich schwach, und die Entscheidung hat schädliche Folgen gehabt."

Sechs der neun Richter am Supreme Court bestätigten ein Gesetz aus Mississippi, das die Abtreibung nach der 15 Schwangerschaftswoche verbietet. Der Richter John Roberts wollte aber nicht so weit gehen, das Grundsatzurteil von 1973 zu kippen, so dass das Votum zur Aufhebung von Roe v. Wade mit fünf zu vier Stimmen knapper ausfiel.

Die liberalen Richter übten scharfe Kritik am Urteil der konservativen Mehrheit. Es "hat zur Folge, dass eine Frau vom Moment der Befruchtung an keine nennenswerten Rechte mehr hat", schrieben Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan in einer gemeinsam verfassten abweichende Meinung. "Der Staat kann sie zwingen, eine Schwangerschaft zu Ende zu bringen, selbst wenn dies mit hohen persönlichen und familiären Kosten verbunden ist."

KONSERVATIVE NACH JAHRZEHNTEN AM ZIEL

Republikanische Präsidenten hatten immer wieder versprochen, nur Richter zum Obersten Gericht zu ernennen, die das Recht auf Abtreibung kippen würden. Donald Trump gelang es während seiner vierjährigen Amtszeit, drei konservative Richter zu ernennen, wodurch sich das Gericht nach rechts bewegte. Sechs der neun Richter gelten als konservativ. Alle drei von Trump ernannten Richter - Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett - stimmten für die Aufhebung von Roe v. Wade.

Nach dem Urteil des Obersten Gerichts können jeder der 50 Bundesstaaten über ein regionales Recht auf Abtreibung entscheiden. 13 von ihnen haben bereits Gesetze erlassen, die nach dem nun erfolgten Wegfall der bundesstaatlichen Regelung die Abtreibung stark einschränken. Es gilt als wahrscheinlich, dass letztendlich 26 der 50 Bundesstaaten das Abtreibungsrecht stark beschneiden werden. Ein Gesetzentwurf der Demokraten für ein Recht auf Abtreibung auf Bundesebene war Mitte Mai im Senat gescheitert.

Die heiß geführte Debatte um Abtreibung dürfte auch bei den Kongresswahlen im November ein wichtiges Thema sein. Umfragen zufolge spricht sich die Mehrheit der Amerikaner für ein Recht auf Schwangerschaftsabbrüche aus. "Die Rechte der Frauen und aller Amerikaner stehen im November auf dem Stimmzettel", sagte Pelosi.

(Bericht von Lawrence Hurley; Geschrieben von Hans Seidenstücker, redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)