Vorsicht Fehldiagnose, Kommentar zu den US-Banken von Anna Sleegers
Frankfurt (ots) - Die laufende Quartalssaison der US-Banken steht unter keinem
guten Stern. Nachdem die US-Notenbank die Zinsen beinahe auf null gesenkt hat,
die Coronakrise sich durch das Kreditbuch frisst und die Bonanza des
Kapitalmarktgeschäfts bereits im Jahresverlauf an Momentum zu verlieren schien,
waren deutlich rückläufige Quartalsergebnisse zu erwarten. Von daher verwundert
es auf den ersten Blick nicht, dass die Börse die Zahlenwerke von Goldman Sachs
und Bank of America am Dienstag zu Handelsbeginn mit Kursabschlägen quittierte.

Das sollte es aber! Denn tatsächlich haben sie, wie bislang alle großen
US-Banken, im Schlussquartal die Erwartungen der Analysten übertroffen - zum
Teil sogar um Längen. Das krasseste Beispiel liefert Goldman Sachs, deren Gewinn
mit 12,23 Dollar pro Aktie fast doppelt so hoch lag wie die von Factset
übermittelte Konsensschätzung von 6,65 Dollar.

Auch J.P. Morgan Chase toppte mit 3,79 Dollar pro Aktie die Prognose von 2,48
Dollar wie auch die Citigroup (2,08 Dollar versus 1,26 Dollar) und die Bank of
America (0,59 Dollar versus 0,52 Dollar). Selbst das ewige Sorgenkind Wells
Fargo tat allen juristischen Altlasten zum Trotz im Schlussquartal sein Bestes,
um die Aktionäre mit 0,64 Dollar statt der vorhergesagten 0,59 Dollar pro Aktie
zu erfreuen. Geht das so weiter, wird auch Morgan Stanley am Mittwoch die
vorhergesagten 1,22 Dollar übertreffen.

Die Kluft zwischen den Prognosen und Resultaten kann als Indiz gewertet werden,
dass sich nicht jede Aufgabe im Finanzbereich gleich gut aus dem Homeoffice
heraus erfüllen lässt. Um treffsichere Schätzungen abzugeben, sind Analysten
auf
gute Investor-Relations-Arbeit angewiesen. Das lässt sich auf Dauer vermutlich
besser bewerkstelligen, wenn auch Treffen von Angesicht zu Angesicht möglich
sind. Wie viel zwischen den Zeilen verloren geht, wenn man sich nur noch per
Telefon oder Videoschalte austauscht, hat sich in den vergangenen Monaten
schließlich auch in vielen anderen Bereichen des Arbeitslebens gezeigt.

In Acht nehmen sollten sich Anleger jedoch vor dem Fehlschluss, jeden
Kursabschlag als "enttäuschte" Reaktion der Anleger zu werten. Diese
Interpretation ergibt zumindest im Fall der US-Banken keinen Sinn. Tränen ob der
ansehnlichen Zahlenwerke sind wohl keine verdrückt worden. Stattdessen dürften
viele Investoren das Bedürfnis gehabt haben, die Kursgewinne zu realisieren, die
das vor Weihnachten verkündete Ende des Aktienrückkaufverbots den
US-Bankenwerten beschert hatte.

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