Kiew/Lwiw/Berlin (Reuters) - Die russische Invasion in der Ukraine hat nach Angaben der UN innerhalb weniger Tage mehr als zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben.

Am Dienstag konnten erstmals Zivilisten aus der von russischen Truppen belagerten Stadt Sumy mit einem Bus-Konvoi ausreisen. Die Ukraine warf russischen Truppen vor, eine Evakuierungsroute für die belagerte Hafenstadt Mariupol unter Beschuss genommen und damit gegen eine vereinbarte Feuerpause verstoßen zu haben. Deutschland, China und Frankreich boten am Nachmittag humanitäre Hilfe an und pochten auf eine diplomatische Lösung. Die USA wollen nach Angaben aus Regierungskreisen die Einfuhr russischen Öls stoppen.

Während ukrainische Quellen erneute russische Angriffe auf etliche Städte meldeten, verkündete Russland der Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Dienstagmorgen eine Feuerpause für andere Gebiete, um Zivilisten einen sicheren Weg aus den Kampfgebieten zu ermöglichen. Es seien Fluchtwege aus der Hauptstadt Kiew sowie aus Sumy, Charkiw, Mariupol und Tschernihiw geöffnet worden, meldete Interfax unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau. Bislang sind mehrere Versuche zur Einrichtung von solchen Fluchtwegen gescheitert, wofür sich beide Seiten gegenseitig die Schuld zuwiesen.

Die russische Invasion ist der größte Angriff auf einen europäischen Staat seit dem Zweiten Weltkrieg. Russland bezeichnet sein Vorgehen in der Ukraine dagegen als "Sondereinsatz", der nicht darauf abziele, Territorium zu besetzen, sondern die militärischen Kapazitäten des Nachbarn zu zerstören und als gefährlich eingestuften Nationalisten zu fassen.

DIPLOMATISCHE APPELLE

Bundeskanzler Olaf Scholz telefonierte am Dienstag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem chinesischen Präsidentn Xi Jinping. Es sei schmerzhaft zu sehen, "dass die Flammen des Krieges wieder in Europa lodern", sagte Xi danach nach Angaben chinesischer staatlicher Medien. Die Situation in der Ukraine sei besorgniserregend. Es müsse verhindert werden, dass sie weiter eskaliere oder außer Kontrolle gerate. Xi forderte deshalb zu "maximaler Zurückhaltung" auf. Das französische Präsidialamt teilte mit, Xi unterstütze die deutsch-französischen Bemühungen um einen Waffenstillstand.

Die Außenminister Russlands und der Ukraine wollen sich nach türkischen Angaben am Donnerstag in Antalya treffen. Dies wäre das erste Treffen auf Regierungsebene seit Ausbruch der Kämpfe. Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärt, Moskau werde seine Militäreinsätze sofort einstellen, wenn die Ukraine die Kämpfe einstelle, sich für neutral erkläre und die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim sowie die Unabhängigkeit der von Russland unterstützen, selbsterklärten Volksrepubliken Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkenne. Der Westen und die Ukraine lehnen eine Anerkennung der Krim-Annexion und der Abspaltung der Ostukraine ab.

DEBATTE UM EMBARGO FÜR RUSSISCHES GAS UND ÖL

Auch die Sanktionsdebatte nahm am Dienstag wieder Fahrt auf. Die EU-Kommission legte den Botschaftern der 27 EU-Staaten neue Vorschläge vor, wie Schlupflöcher bei den bisher verhängten drei Sanktionspaketen gestopft werden können. Die US-Regierung will nach Angaben aus US-Regierungskreisen den Import russischen Öls stoppen. US-Präsident Joe Biden wollte sich dazu noch am Nachmittag äußern. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte, der Schritt sei mit den Europäern abgestimmt, komme aber für Deutschland und Europa wegen der höheren Abhängigkeit von russischen Energieliefrungen nicht infrage. Auch Bundeskanzler Scholz hatte am Montag betont, man habe die Energieimporte bewusst von den Sanktionen ausgenommen. Großbritannien will dagegen einem Medienbericht zufolge die Einfuhr von russischem Öl einstellen. Es sei eine monatelange Übergangsphase geplant, um eine Anpassung der Weltmärkte zu ermöglichen und Panikkäufe zu verhindern, berichtete "Politico" unter Berufung auf Londoner Regierungskreise.

Russlands Regierung hatte am Montagabend erstmals damit gedroht, den Gasfluss durch die Pipelines von Russland nach Deutschland zu stoppen. Russland liefert rund 40 Prozent des europäischen Gases. "Wir haben jedes Recht, eine entsprechende Entscheidung zu treffen und ein Embargo für die Durchleitung von Gas durch die Nord Stream 1-Pipeline zu verhängen", sagte der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexander Novak. Habeck gab sich gelassen und sagte, er erwarte nicht, dass Russland diesen Weg gehen werde.

Die russische Regierungspartei "Einiges Russland" brachte zudem die Verstaatlichung von Fabriken in ausländischem Besitz ins Spiel, die ihren Betrieb wegen der russischen Invasion der Ukraine eingestellt haben. "Dies ist eine extreme Maßnahme, aber wir werden es nicht tolerieren, in den Rücken gestochen zu werden", wurde der Generalsekretär des Generalrats, Andrej Turtschak, auf der Partei-Webseite zitiert.