London (Reuters) - Nach einem kritischen Bericht über fragwürdige Feiern während des Corona-Lockdowns hat der britische Premierminister Boris Johnson sich entschuldigt, Rücktrittsforderungen der Opposition jedoch verhallen lassen.

"I want to say sorry" ("Es tut mir leid"), sagte Johnson am Montag vor dem Parlament in London, nachdem die Spitzenbeamtin Sue Gray ihren mit Spannung erwarteten Zwischenbericht veröffentliche. "Ich verstehe die Wut, die die Menschen empfinden." Seine Regierung werde die Lehren aus der Kritik ziehen und Abläufen in seinem Amtsitz in der Downing Street ändern. "Ich habe verstanden und ich werde das in Ordnung bringen", sagte er. Johnson rief die Bevölkerung auf, seiner Regierung weiter das Vertrauen zu schenken.

Gray attestierte der Regierung schweres Führungsversagen und ein mangelndes Urteilsvermögen. Einige der Zusammenkünfte in der Downing Street hätten nicht stattfinden dürfen, andere seien aus dem Ruder gelaufen. Sie forderte klare Regeln, um Trinkgelage am Arbeitsplatz zu verhindern. "Der übermäßige Konsum von Alkohol ist an einem professionellen Arbeitsplatz zu keiner Zeit angebracht." Gray stellte zudem fest, dass sich Mitarbeiter unter Druck gesetzt fühlten. Einige hätten zwar Bedenken äußern wollten, seien aber davor zurückgeschreckt. Regierungsmitarbeiter müssten in der Lage sein, sich über ungebührliches Verhalten zu beschweren, erklärte sie.

Die Opposition erneuerte nach der Vorlage des Zwischenberichts ihre Forderungen nach Johnsons Rücktritt. "Es kann keinen Zweifel geben, dass gegen den Premierminister selbst strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden", sagte Labour-Chef Keir Starmer. Johnson geht nach früheren Aussagen seines Sprechers nicht davon aus, Gesetze gebrochen zu haben. Die Debatte wurde hitzig geführt: Der Fraktionsvorsitzende der Scottish National Party im Parlament, Ian Blackford, wurde der Kammer verwiesen, nachdem er Johnson vorwarf, das Parlament in die Irre geführt zu haben.

POLIZEI: ERMITTLUNGEN WERDEN WOCHEN DAUERN

In den vergangenen Wochen waren immer mehr Partys während der Lockdowns bekanntgeworden. Angesichts scharfer Kritik auch aus den eigenen Reihen hatte Johnson erklärt, zunächst den Gray-Bericht abzuwarten. Doch wegen parallel laufender Polizeiermittlungen wurde dieser nun nicht vollständig veröffentlicht. Gray erklärte, sie könne gegenwärtig nur über vier von 16 Vorgängen berichten. Die zuständige Polizei-Kommandeurin Catherine Roper sprach von mehr als 500 Blatt Papier und über 300 Fotos, die ausgewertet werden müssten. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf individuelle Verstöße gegen die Corona-Auflagen. Die Betroffenen sollten in den kommenden Wochen kontaktiert werden, sagte Roper zur Frage, wie lange die Untersuchungen dauern dürften.

In dem Zwischenbericht fehlt unter anderem eine besonders beachtete mutmaßliche Party am 20. Mai 2020, bei der nach dem Motto "bring your own booze" die Teilnehmer Alkohol mitbringen sollten. In anderen Medienberichten war von Trinkgelagen berichtet worden, bei denen Regierungsmitarbeiter Koffer voller Alkohol angeschleppt hätten und bis in die frühen Morgenstunden tanzten. Währenddessen galten in Großbritannien strenge Kontaktbeschränkungen, so dass Angehörige beispielsweise nicht an Beerdigungen teilnehmen konnten. In Umfragen liegt Labour inzwischen deutlich vor Johnsons Konservativen.