Brüssel/Berlin (Reuters) - Angesichts zu großer Haushaltslöcher nimmt die EU-Kommission Frankreich, Italien und weitere Defizitsünder ins Visier.

Sie bescheinigte ihnen am Mittwoch eine exzessive Neuverschuldung, die ein Defizitverfahren nötig mache. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sprach von "einem ersten Schritt", der allerdings für die betroffenen Länder nicht überraschend komme. Am Ende eines Defizitverfahrens könnten nach europäischen Regeln auch Bußgelder stehen. Auch Belgien, Malta und die Slowakei weisen übergroße Haushaltslöcher auf, die aus Brüsseler Sicht ein Defizitverfahren erfordern. Anders als diese Euroländer steht Frankreich vor den Neuwahlen des Parlaments derzeit an den Finanzmärkten allerdings unter besonderer Beobachtung.

Die Neuwahlentscheidung des Präsidenten Emmanuel Macron hat Turbulenzen ausgelöst, da über einen Sieg der europaskeptischen Rechten bei der Parlamentswahl spekuliert wird. Finanzminister Bruno Le Maire hat davor gewarnt, dass das Land im Zuge der Neuwahlen in eine Finanzkrise schlittern könnte. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, sagte mit Blick auf einen möglichen Konfrontrationkurs Brüssels mit einer rechtsgerichteten Regierung in Paris, in parteipolitische Fragen mische sich die Kommission grundsätzlich nicht ein. Zugleich sei es noch viel zu früh, um über mögliche "Schritte zur Durchsetzung" der Finanzdisziplin zu spekulieren.

EU-Regularien sehen eine Obergrenze des Schuldenstands von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines Landes sowie ein maximales Defizit von drei Prozent des BIP vor. Frankreich reißt diese Latte deutlich: Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone wies 2023 ein Defizit von 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung auf. Für dieses Jahr wird eine Verringerung auf 5,3 Prozent erwartet. Die Schuldenstandsquote lag 2023 bei 110,6 Prozent des BIP. Die EU-Kommission erwartet für 2024 einen Anstieg auf 112,4 Prozent und auf 113,8 Prozent im Jahr 2025.

Gespräche zwischen der Regierung in Paris und der EU-Kommission darüber, wie schnell Frankreichs Defizit und Staatsverschuldung gesenkt werden können, werden in den kommenden Monaten geführt. "Welche Regierung auch immer nach der Wahl am 7. Juli gebildet wird, wird mit der Verpflichtung konfrontiert sein, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, um eine mittelfristige Strategie festzulegen", sagte ein Insider aus dem französischen Finanzministerium, der anonym bleiben möchte.

Die Empfehlung der EU-Kommission, ein Defizitverfahren einzuleiten, muss im Juli noch von den EU-Finanzministern gebilligt werden, was als Formalie gilt. Im November wird Brüssel dann Vorschläge dazu vorlegen, wie schnell das Defizit gesenkt werden soll. Im Rahmen eines dieses Jahr erarbeiteten Reformwerks wird den Regierungen mehr Zeit zum Abbau ihrer Schulden gegeben als früher. Die jüngste Überarbeitung des seit zwei Jahrzehnten bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) folgt auf eine Phase, in der einige EU-Staaten Rekordschulden angehäuft haben.

RÜFFEL AUCH FÜR DEUTSCHLAND

Bundesfinanzminister Christian Lindner wies im Deutschlandfunk darauf hin, dass das Reformwerk mehr Flexibilität für Investitionen biete. Aber Deutschland sei es wichtig gewesen, dass verlässlichere Vorgaben für den Abbau von Haushaltsdefiziten und für sinkende Schuldenquoten gemacht worden seien. "Und daran wird jetzt die Europäische Kommission gemessen. Auch in ihrem Interesse muss es ja liegen, die finanzielle Stabilität in der Europäischen Union und zumal der Währungsunion zu garantieren", fügte der FDP-Politiker hinzu.

Die EU-Kommission rüffelt auch die Bundesregierung wegen unzureichender Investitionen. "Die Haushaltskonsolidierung dürfte die Inlandsnachfrage belasten und die öffentlichen Investitionen potenziell erschweren", erklärte die Brüsseler Behörde. Dabei sei der Investitionsbedarf in den vergangenen Jahren gestiegen. Zwar habe die Regierung einige Maßnahmen zur Förderung von Investitionen ergriffen. "Doch hat der Umfang der politischen Maßnahmen bisher weder zu wesentlichen Fortschritten geführt noch ausgereicht."

Die Kommission hat noch andere Kritikpunkte. "In Deutschland bestehen weiterhin Ungleichgewichte", heißt es weiter. Die schwächelnde Inlandsnachfrage und fehlende Investitionen würden zu hohen Leistungsbilanzüberschüssen beitragen. Diese speisen sich vor allem aus hohen Exportüberschüssen und dürften in diesem und im kommenden Jahr weiter steigen. "In Anbetracht der Größe der deutschen Wirtschaft und ihrer Handelsverflechtung mit dem Euroraum hat dies negative Auswirkungen auf den Rest des Euroraums", hieß es dazu aus Brüssel. Ländern mit hohen Überschüssen stehen welche mit enormen Defiziten gegenüber, die dafür Schulden machen müssen.

(Bericht von Büro Brüssel, geschrieben von Reinhard Becker, Rene Wagner; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Jan Strupczewski und Reinhard Becker und Rene Wagner